Meerbusch Vom späten Glück, einen Vater zu haben
Meerbusch · Die Kinderärztin und Autorin Jutta Weber stellt morgen Abend bei Gossens in Büderich ihr anrührendes Buch über ihre Kindheit in Meerbusch und die Suche nach ihrem "Rastavati" vor.
Als die Krefelder Kinderärztin Jutta Weber ihren 50. Geburtstag feierte, fühlte sie sich rundum glücklich. "Mir fehlte nichts", sagt sie. Ihre Welt war heil: ein schönes Heim, ein erfüllender Beruf, der Ehemann ebenfalls Arzt, die vier Kinder wohl geraten. Und doch sollte sich bald herausstellen, dass sie über eine sehr lange Zeit etwas verdrängt hatte und ihr Leben eben doch eine schmerzliche Lücke aufwies.
Jutta Weber hatte ihren leiblichen Vater nie kennengelernt. Sie wusste von ihm nur drei spärliche Dinge: seinen Vornamen, seine Herkunft aus Jamaika und seine Passion für Jazz. Und jetzt drängten sie ihre Kinder, sich endlich auf die Suche nach dem großen Unbekannten zu machen. In ihrem Buch "Rastavati - wie ich meine jamaikanischen Wurzeln fand" erzählt Jutta Weber von der bereichernden Begegnung mit einem Mann, der nicht, wie insgeheim befürchtet, in der Hängematte abhing, sondern Steuerberater in Kanada war und sich über seine deutsche Tochter von Herzen freute. Das vermisste Mosaiksteinchen fügte sich nahtlos in ihr Leben ein. "Es komplettiert mich auf eine Weise, wie ich es nie erwartet hätte", sagt sie. "Zwei Familien kamen zusammen und werden sich nie mehr verlieren. Unser Happy End ist fast zu kitschig, um wahr zu sein."
Die anrührende Geschichte beginnt mit der lebenslustigen Helga Nielsen. Die blutjunge Einzelhandelskauffrau fand in der Meererbuscher Villa ihrer Arbeitgeber Unterschlupf. Unbekümmert zog sie um die Häuser, flirtete und feierte, was das Zeug hielt. In Wuppertal traf sie 1963 den jamaikanischen Saxophonisten Ojn, (eigentlich Owen), der mit seiner Band durch Deutschland tourte. Irgendwann fuhr kein Bus mehr zurück. Helga blieb über Nacht - und wurde schwanger. Humorvoll schildert Jutta Weber die allgemeine Verblüffung bei ihrer Geburt in Lank. Nicht nur das Klinikpersonal staunte über das "Mulattenbaby", auch die blonde Mutter blickte verwirrt auf ihr dunkelhäutiges Kind. Die schwarzen Haare erinnerten sie an einen indonesischen Freund. Der würde dann ja wohl der Vater sein. Tatsächlich zahlte er 50 Mark im Monat, bis die krausen Locken der kleinen Jutta ihn misstrauisch machten. Pragmatisch wählte Helga Nielsen daraufhin einen Mann, der sie und ihr Kind versorgen könnte.
Sie zogen zu einem Lebensmittelhändler nach Osterath, der die Vaterrolle sofort annahm und Jutta genau so behandelte wie den vier Jahre später geborenen Sohn. "Ich war sehr behütet und hatte in der Schule nie mit Ressentiments oder gar Diskriminierung zu kämpfen", beteuert sie. "Wenn es da etwas gab, haben meine Freundinnen mich sofort beschützt. Mich störte nur, dass die anderen Kinder glaubten, ich sei adoptiert. Ich wollte schon, dass meine Mutter meine leibliche Mutter ist." Das klärte sich bald, aber jede Frage nach dem Vater wurde abgeblockt. Sie malte sich ihn aus, doch den Mut, nach ihm zu suchen, brachte sie damals nicht auf. "Ich hätte wohl auch ein Loyalitätsproblem mit meinem Stiefvater gehabt", sagt sie. "Erst nach seinem Tod war ich fähig zu handeln."
Jutta wuchs heran. Sie sang im Gospelchor des Strümper Gymnasiums, war Schulsprecherin, schwankte, ob sie Sängerin oder Juristin werden sollte, entschied sich dann für Medizin mit dem Berufswunsch Kinderärztin. In Krefeld, wo die Familie mittlerweile lebte, ließ sie sich vor zwölf Jahren mit eigener Praxis nieder. Ihre Mutter wohnt noch in Osterath. Von ihr erfuhr sie sehr spät den vollen Namen ihres Vaters. Er stand in den Gerichtsakten, denn es hatte sehr wohl einmal einen kurzen Kontakt zwischen den Eltern gegeben. Mit der Vergangenheit hat Jutta Weber ihren Frieden gemacht. Es war ihre Tochter Theresa, die Owen McFarlane schließlich über Facebook fand. Auf die Frage nach seiner Zeit in Wuppertal reagierte er so: "Wenn dein Name Jutta ist, bin ich dein Vater und habe dein Foto seit 50 Jahren in meiner Brieftasche." Sie schrieben sich Mails, vor Telefonaten scheuten beide zurück. Wenige Wochen später, im Oktober 2014, flog er nach Düsseldorf. Am Flughafen schlossen sie sich in die Arme, und am Abend gab es ein Fest mit der ganzen Familie.
Jetzt, wo sie sich nach mehreren Treffen in Jamaika, Deutschland und Kanada sehr vertraut sind, hat Jutta Weber erkannt: "Ich bin ein Teil von ihm und trage viel Jamaika in mir, obwohl ich mich deutsch fühle und meine Heimat sehr liebe. Aber die andere Seite ist eben auch da."
