Meerbusch Menschlich ein Plus gemacht

Düsseldorf · Obwohl die Howschkes zweieinhalb Jahre auf den großen Tag gewartet hatten. „Im ersten Moment ist man überfordert“. Es blieb nicht einmal die Zeit, um sich von der Familie zu verabschieden – Wiedersehen ungewiss. Am meisten ärgert Bernd Howschke noch heute, dass er in der Hektik seine neue Anzugjacke hängen ließ – der Sommeranzug hatte fast einen ganzen Monatslohn gekostet. „Da bin ich im Westen nur mit Anzughose gelandet!“ sagt er fassungslos.

Am Grenzübergang Marienborn überschritten sie die deutsch-deutsche Grenze, nachdem das Auto intensiv durchleuchtet worden war. „Dann haben sie uns endlich laufen lassen“. Eine letzte Schrecksekunde verspürte der Berliner, als ihn der westliche Grenzposten mit erhobenem Arm anhielt. Der sorgte sich aber nur, ob es ihr Auto noch bis zum Aufnahmelager in Gießen schaffen würde, da man ihnen drüben als letzten Akt der Schikane den Reservekanister abgenommen hatte. Beim ersten Parkplatz fuhren die Howschkes rechts ran und stießen auf ihre neu gewonnene Freiheit an – mit einer Flasche Brause. In Gießen seien sie überaus freundlich und zuvorkommend empfangen worden. „Das waren wir nicht gewohnt“, sagt Dagmar Howschke. Gerade die ersten Tagen im Westen waren von Gefühlen des Glücks und der Zufriedenheit erfüllt.

Das ist jetzt 18 Jahre her. Wenn auch der berufliche Einstieg sehr schwierig war, weil Howschke seine Ausbildung hier nicht verwerten konnte, sich die Familie mit der Ausreise wirtschaftlich schlechter gestellt hatte. Dennoch: „Für uns hat sich 1000prozentig gelohnt“, sagt der 59-Jährige. Weil sich der Familienzusammenhalt bewährt habe. „Menschlich haben wir ein Plus gemacht“.

Haus wurde nicht rückübereignet

Ihre Bemühungen, nach der Wende das Haus in Schildow zurück zu bekommen, scheiterten. „Wir konnten nicht beweisen, dass der Käufer ein Stasi-Offizier war“, sagt Dagmar Howschke. Mit einer Mischung aus Genugtuung und Trauer haben sie bei einem Besuch festgestellt, dass das Anwesen verkommt. „Gottes Mühlen mahlen langsam, aber stetig“, sagt Howschke grimmig. Hätte er natürlich seherische Fähigkeiten gehabt, hätten sie 15 Monate später unbehelligt ausreisen und ihren Besitz behalten können. Immerhin könne er jetzt nicht mehr wie noch Anfang 1989 an der Grenze als „unerwünschte Person“ zurückgewiesen werden. Aber die Rückkehroption ist für ihn rein theoretisch. Ihm gefällt es in Meerbusch. Von der Mentalität her seien sich Rheinländer und Berliner recht ähnlich: Sie haben das Herz auf der Zunge.

Sogar der einstige Ausreisegrund, die rettende OP, hatte sich wegen der langen Wartezeit erledigt: Es war zu spät. Mit viel Willenskraft und Selbst-Disziplin musste Dagmar Howschke selbst auf die Beine kommen. Aber sie ist kein Mensch, der klagt, eher eine unerschütterliche Optimistin. „Ich bin auch froh, dass ich so bin“.

(RP)
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