Meerbusch historisch Ein Wandertag mit Folgen

Osterath · Wegen Corona sind Schulveranstaltungen derzeit verboten. Im Herbst 1927 aber sorgte der Ausflug einer Osterather Klasse für große Unruhe im Ort. Das zeigt ein Blick in historische Unterlagen, die mittlerweile im Kreisarchiv Kempen lagern.

 In der Gaststätte Breuers in Osterath war die letzte Rast. Von dort wurden die Kinder im Feuerwehrauto zurück ins Dorf gebracht.

In der Gaststätte Breuers in Osterath war die letzte Rast. Von dort wurden die Kinder im Feuerwehrauto zurück ins Dorf gebracht.

Foto: Stadtarchiv, Repro Kunze

Klassenfahrten, Wandertage, Ausflüge: In der Corona-Krise sind große Veranstaltungen außerhalb der Schule nicht möglich. Ganz anders vor mehr als 90 Jahren in Meerbusch: Am 6. Oktober 1927 berichtete der Rheinische Anzeiger voller Empörung, dass der Ausflug einer Osterather Klasse nach Kaiserswerth die Eltern in großen Aufruhr versetzt habe.

Das war passiert: Erst nach 13 Stunden Abwesenheit sei ein kleiner Trupp Schüler alleine wieder im Dorf aufgetaucht und berichtete, der Lehrer sei mit den anderen Kindern verschollen. Nun machten sich etliche Eltern mit Rädern, Autos und Motorrädern auf in Richtung Lank. Sogar ein Feuerwehrauto war im Einsatz. Der Rheinische Anzeiger zitierte Kinder, die seit vormittags alleine unterwegs gewesen seien, während der Lehrer in einer Langster Wirtschaft „mit anderen Herren dem Alkohol reichlich zugesprochen“ habe. Zudem sei der Lehrer mit einigen Kindern erst um 22 Uhr in einer anderen Kneipe in Bovert angetroffen worden.

Doch was war wirklich geschehen? Um das herauszufinden, begab sich der Schulrat des Kreises Kempen-Krefeld, Salzberger, von Viersen nach Osterath und vernahm verschiedene Zeugen. Zuerst musste an diesem 12. Oktober der Lehrer Heinrich Grefrath seine Sicht der Dinge schildern. Demnach brach er am 4. Oktober um 8.15 Uhr mit seiner Klasse, der Kinder des dritten und vierten Schuljahres angehörten, auf und marschierte über Strümp, Lank und Langst nach Kaiserswerth. Dort habe man die Ruine der Kaiserpfalz, die Kirche und den Ort besichtigt und anschließend „am Flughafen Lohausen Flugmanöver“ beobachtet“. Um 14.25 Uhr habe er einem Jungen dessen Uhr gestellt, als man den Rückweg angetreten habe. Die Wartezeit an der Fähre habe rund 90 Minuten gedauert, „weil fünf starke Schlepper rheinaufwärts gezogen sind“.

In Langst hätten die Kinder dann in einem Lokal Milch zu trinken bekommen, während der Lehrer freimütig zugab, Bier getrunken zu haben: „Es können drei oder vier Glas gewesen sein“, sagte er. Das alleine war es aber nicht, denn: „Ich vermute, dass man mir Schnaps in das Bier gegossen hat.“ Ob der Wirt es damit nur gut gemeint hat, ob er den Lehrer ärgern wollte oder ob dieser selbst kein Kostverächter war, das konnte schon damals nicht festgestellt werden. Jedenfalls brach die Klasse erst mit Anbruch der Nacht wieder auf.

Als Lehrer Grefrath sich schließlich in Ilverich nach dem Weg erkundigte, kam wohl ein Osterather auf dem Rad vorbei, dem unbemerkt der größere Teil der Kinder gefolgt sei. Als der Lehrer wiederkam, warteten nur noch sieben Mädchen auf ihn. In der Sorge, die übrigen Kinder könnten sich Richtung Düsseldorf verirrt haben, marschierte der kleine Trupp über Haus Meer nach Osterath. In Bovert klagten die Kinder dann so sehr, dass man in eine weitere Gaststätte einkehrte, wo dann auch die Feuerwehr eintraf, um die Kinder zu holen. Erst um 21 Uhr waren sie wieder an der Schule. Natürlich hörte der Schulrat auch einige Kinder an. Dabei kam ein weiterer Stopp in Meererbusch zur Sprache. Dort sollen die Kinder „Blümchen“ getrunken haben, der Lehrer Bier. Ein anderes Mädchen gab an, Heinrich Grefrath habe auch in Bovert Bier getrunken. Unter den Zeugen war aber auch der Großvater eines Kindes. Er war der Osterather, der den Trupp mit dem Fahrrad getroffen hatte. Er berichtete: „Der Lehrer machte auf mich nicht den Eindruck eines Betrunkenen.“ Auch dessen Vorgesetzter, Rektor Droege, der mit dem Feuerwehrauto nach Bovert gekommen war, stieß ins selbe Horn: Er hätte kein Bier in der Nähe des Lehrers bemerkt. Allerdings vermutete auch er, dass Alkohol der Grund für dessen blasse Gesichtsfarbe gewesen sei.

Damit hatte der Schulrat genug gehört und folgerte, dass der Fall „in einem Teile der Presse sensationell aufgebauscht“ und stark übertrieben worden sei. Die Unruhe unter der Elternschaft schrieb er dem Umstand zu, dass die Kinder von Meer kommend eine Straße benutzt hätten „auf der kürzlich durch einen wilden Autofahrer drei Osterather überfahren und dabei tödlich verletzt worden seien“. Gleichwohl nannte Salzberger das Verhalten des Lehrers unverantwortlich, weil sich ein Teil der unbeaufsichtigten Schüler verständlicherweise in der Dämmerung alleine auf den Weg gemacht hätte. Auch den Stopp am Bovert konnte Salzberger nicht nachvollziehen: „Wenn auch die Kinder über Müdigkeit klagten, so musste er doch den Weg fortsetzen.“ Den Biergenuss fand Salzberger dagegen „belanglos“, da der Großvater und der Rektor bestätigten, dass Grefrath nicht betrunken gewesen ist.

Salzberger versetzte Grefrath sofort in eine andere Klasse und schlug vor, einen scharfen Verweis und 20 Reichsmark Strafe zu verhängen. Die Bezirksregierung erteilte dann den Verweis, verzichtete aber auf die Geldstrafe. Gleichwohl befand er, Grefrath habe sich „des Ansehens und des Vertrauens, das der Beruf erfordert, unwürdig gezeigt“.

Wer diese kuriose Geschichte nachlesen möchte: Die Unterlagen befinden sich heute im Kreisarchiv in Kempen.

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