Meerbusch Hoffen auf ein neues Herz

Düsseldorf · Raphael Wiescher wurde mit einem schweren Herzfehler geboren. Wenn der 14-Jährige zehn Meter läuft, ist er außer Atem. Eine Transplantation von Herz und Lunge ist unvermeidlich. Trotz seines Handicaps hat Raphael sein Leben bisher gut gemeistert - dank einer tollen Familie.

 Herzinfarkte kündigen sich bei Frauen nicht unbedingt durch Schmerzen in der Brust an.

Herzinfarkte kündigen sich bei Frauen nicht unbedingt durch Schmerzen in der Brust an.

Foto: AP ARCHIV, AP

Meerbusch Raphaels Lippen sind blau. Nicht vor Kälte. Schuld ist das Herz, es transportiert zu wenig Sauerstoff. Kurz nach der Geburt sagten die Ärzte, Raphael wird keine drei Monate alt. Später hieß es, er wird nicht krabbeln, nicht laufen, nicht sprechen können, wohl geistig zurückbleiben. Heute ist Raphael Wiescher 14Jahre alt, 1,90 Meter groß und hat in Mathematik eine Eins. Das einzige, was eben nicht so ist, wie es sein sollte, ist sein Herz. Eine Arterie, eine Klappe und eine Kammer fehlen. Von Geburt an. Prognosen, wie lange das noch gut geht, wagt kein Arzt mehr. "Es kann in zwei Jahren so weit sein, oder morgen schon", sagt Sieglinde Höhl, Raphaels Mutter. So weit, das heißt: Raphaels Organe versagen. Und es ist Zeit für ein neues Herz und eine neue Lunge.

Raphael trägt es mit Fassung. Und mit Humor. Wie die ganze Familie. "Ohne Humor lässt sich das nicht bewältigen", sagt Sieglinde Höhl. Die 46-Jährige hat immer versucht, ihren Sohn zu so viel Selbstständigkeit wie möglich zu erziehen, also ein "normales" Familienleben zu führen. "Rücksicht auf mich nimmt hier keiner. Vor allem nicht mein kleiner Bruder", ereifert sich Raphael. Aber es ist nur Spaß. Alle in der Familie wünschen sich, dass es Raphael wieder besser geht. "Dann kann er endlich mehr draußen spielen", sagt sein Bruder Jonas (10). "Und mit mir laufen gehen", fügt Eva (16), seine Schwester hinzu. Raphael stöhnt. Er wünscht sich vor allem eins: "Fußballspielen."

Wann das geht, weiß keiner. Momentan steht Raphael nicht an erster Stelle auf der Liste der Organempfänger. Das kann sich jederzeit ändern. Der 14-Jährige wird regelmäßig im Deutschen Herzzentrum in Berlin buchstäblich auf Herz und Nieren untersucht. Derzeit besitzt er 70 Prozent Sauerstoffsättigung des Blutes in der Ruhe und 50 Prozent in der Bewegung. Nach zehn Metern schnellem Laufen geht ihm die Puste aus. Sein Blut ist so dick, dass kleine Gefäße nicht richtig versorgt werden. Deshalb verfärben sich die Lippen blau. Ein Zivildienstleistender fährt Raphael mit dem Auto in die Schule, eine Fahrt mit dem Bus wäre zu heikel: die Gefahr, sich bei anderen anzustecken, ist zu hoch, Raphaels Abwehrkräfte sind schwach.

Dass die unumgängliche Operation immer weiter herausgeschoben wird, liegt auch daran, dass die Ärzte auf verfeinerte Operationstechniken setzen. "So ein Eingriff ist sehr riskant", sagt Sieglinde Höhl. Was Raphael erwartet, flößt Respekt ein: eine komplette Herz-Lungen-Transplantation mit Rekonstruktion des Lungengefäßbettes. Der 14-Jährige rutscht etwas auf dem Sofa herum, wenn über die Operation gesprochen wird. Natürlich hat er Angst davor, die hätte jeder. Aber er will sie trotzdem, diese Operation. Auch ein fremdes Herz? "Das ist schon komisch", sagt er. "Das könnte sogar vor einer Frau sein", scherzt seine Mutter. Alle lachen, auch Raphael. So lässt sich die Angst besiegen.

Ab und zu schlägt sie dennoch durch. Dann bleibt Raphael zu Hause, schläft 16 Stunden durch. Der Zivi hilft, den verpassten Schulstoff nachzuholen. Mit den Freunden ist es schwierig, weil Raphael nicht rumtoben kann. "Gerade dieses Abreagieren fehlt ihm", sagt seiner Mutter. Dann muss mal wieder die Playstation herhalten, und Fußball wird eben auf dem Fernseher gespielt. "Das, was ich am meisten mag, darf ich nicht machen", klagt Raphael. Deshalb wünscht er sich diese Operation, setzt seine Hoffnungen auf ein neues Herz. Vielleicht schon in diesem Jahr, wer weiß. Raphael lächelt. "Ein normales Leben führen, das wäre es."

(RP)
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