Meerbusch historisch Der alte Mann mit der spitzen Zunge

Ossum-Bösinghoven · Seine bissige Bemerkung über das Linner Gericht und sein Ungehorsam brachten Reiner Schwirz vom Weilerhof im Jahr 1767 in Bedrängnis. Wie der Streit letztlich ausging, ist nicht bekannt.

 Das Haupthaus des Weilerhofs hat im Jahr 1766 unter Reiner Schwirz sein heutiges Aussehen erhalten. Im Jahr darauf hat der alte Herr dem Linner Gericht unbedacht Gefräßigkeit vorgeworfen.

Das Haupthaus des Weilerhofs hat im Jahr 1766 unter Reiner Schwirz sein heutiges Aussehen erhalten. Im Jahr darauf hat der alte Herr dem Linner Gericht unbedacht Gefräßigkeit vorgeworfen.

Foto: RP/Foto: Stadtarchiv, Repro: Kunze

Den Linner Gerichtsschöffen ging es um nichts weniger als „die Hoheit und Authoriraet des Landes“, als sie am 29. Oktober 1767 den Reiner Schwirz, Pächter des Weilerhofes, vorgeladen hatten. Der aber wand sich förmlich und wollte dies nicht anerkennen und behauptete, es handele sich bei den ihm zur Last gelegten Vorwürfen um eine reine Privatsache – außerdem weigerte er sich, vor Gericht zu erscheinen.

Das forderte natürlich eine nachdrückliche Reaktion des Freien Schwertgerichtes zu Linn heraus, die auch umgehend erfolgte. Für den 7. November, das war ein Samstag, wurde ein Termin außer der Reihe anberaumt und der Schwirz unter Androhung doppelter Strafe vorgeladen.

„Das extraordinaire versamlete Gericht“ bestand aus dem Schultheiß Erlenwein, dem Gerichtsschreiber sowie den Schöffen Huppertz jun., Gygel und Kochs. Allerdings warteten die hohen Herren bis Mittag vergeblich: Der herbeibefohlene Missetäter Schwirz ließ sich nicht blicken und missachtete die landesherrliche Instanz ein weiteres Mal.

Allmählich zeichnete sich also ein Machtkampf ab, und so wurde kurzfristig ein neuer Termin anberaumt – diesmal mit der Androhung dreifacher Strafe, sollte der Delinquent in seinem „halßstärrigen Ohngehorsamb“ wieder nicht erscheinen. Und der Gerichtstag wurde beneidenswert schnell auf den „künfftigen Monttag umb die 10te vormittägige Stund“ festgesetzt.

Nun schrieb man also den 9. November, als Schultheiß Erlenwein mit den Schöffen Kochs und Huppertz jun. den nächsten Anlauf wagte. Endlich erfahren wir auch, was denn der Reiner Schwirz verbrochen hatte, was geeignet schien, die Grundfesten des kurkölnischen Staatswesens zu erschüttern: Am 29. Oktober hatten sich die Beerbten, also die Nutzungsberechtigten des Bösinghovener Busches, zu ihrer jährlichen Sitzung getroffen, um Holzeinschlag, Aufforstungen und auch Strafen für Waldfrevel festzulegen. Üblicherweise tagte dieses Waldgeding oder –gericht in oder auch vor der Ossumer Kapelle, in deren Innern auch die mit mehreren Schlössern versehene „Kiste“ mit Brandeisen und Unterlagen aufbewahrt wurde.

Anwesend waren diesmal auch der Freiherr von Hoesch auf Haus Pesch, der Johann Olffges aus Fischeln und der mit der Oberaufsicht betraute kurfürstliche Förster sowie der Franziskanerpater Christian und ein Mitbruder. Diese alle waren nun zugleich auch potentielle Zeugen für die in dieser Runde wohl unbedacht ausgesprochenen Worte des Reiner Schwirz. Der hatte nämlich geäußert: „Das Lynnische Gericht wäre sehr hungerig und es ginge sehr hungerig an gemeltem Gericht her“.

Nun muss man wissen, dass die Mitglieder damaliger Gerichte – natürlich auch des Bösinghovener Waldgedinges – bei dessen ordentlichen Sitzungen stets mit Speis und Trank versorgt wurden, und die Rechnung für das Mahl und den Wein Teil der Gerichtskosten, also von den Parteien zu tragen waren. Und tatsächlich zeigen diverse Abrechnungen, dass das Linner Mahl nicht selten die Hälfte oder mehr der Gerichtskosten ausmachte.

Insofern ist der Vorwurf des Reiner Schwirz durchaus verständlich, aber auch entsprechend despektierlich, könnte er doch auch so gedeutet werden, dass die Gerichtstermine mehr dem leiblichen Wohl der Richter als der Rechtsprechung auf Kosten der Bevölkerung dienen könnten.

Das muss auch Schwirz aufgefallen sein, der sich schnell bemühte, seine Worte zurückzunehmen und „zu wideruffen“ – was natürlich nicht mehr möglich war. Zumindest habe er das alles nicht so gemeint. Nun war Schwirz wohl nicht mehr der Jüngste, weshalb dessen Ehefrau beim Schultheißen interveniert und gebeten hatte, dass man „wegen Alterthumb ihre Ehemannes es also übel nicht aufnehmen mögte“. Hier nun zeigten die Richter zwar Verständnis, verwiesen aber weiter auf das öffentliche Interesse, das eine Verfolgung gebieten würde, und auf das Problem des „anhaltenden ungehorsamen Außbleibens“ des Übeltäters. Man wollte ein Exempel statuieren und setzte einen weiteren Termin für den nächsten Montag um 10 Uhr früh fest.

Dieses Protokoll fehlt in den ansonsten in diesem Zeitraum lückenlosen Aufzeichnungen des Linner Gerichtes leider, sodass der Ausgang des Streits offen bleibt. Allerdings hatte Schwirz ja selbst die möglichen Folgen seiner Worte sofort bemerkt und auch die hartnäckige Weigerung, vor Gericht zu erscheinen, hatte bereits zur Androhung der zwangsweisen Vorführung beziehungsweise Eintreibung der Strafgelder geführt. Nachdem man in Linn die Sache so hoch gehängt hatte, konnte man deshalb kaum noch zurückweichen.

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