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Feras Aioub teilt sich ein Geschäft mit Anneke Linden Damaskus, Beirut – und jetzt Meerbusch

Boutiquebesitzerin Anneke Linden hat einen besonderen Untermieter: Designer Feras Aioub aus Syrien hat eine bewegte Geschichte.

 Anneke Linden und Feras Aioub: Sie besitzt eine Modeboutique und ist Schmuckdesignerin. Er hat in Damaskus, Beirut und Istanbul als Modedesigner gearbeitet. Hier in Deutschland hat er sich als Schneider selbstständig gemacht.

Anneke Linden und Feras Aioub: Sie besitzt eine Modeboutique und ist Schmuckdesignerin. Er hat in Damaskus, Beirut und Istanbul als Modedesigner gearbeitet. Hier in Deutschland hat er sich als Schneider selbstständig gemacht.

Foto: Anna Steinhaus

Seit mehr als zehn Jahren hat Anneke Linden ihr Mode-Geschäft an der Moerser Straße. Sie hat ihre Stammkunden, vornehmlich Frauen. Neben Beratung und Verkauf hat sich Linden auch aufs Bloggen spezialisiert. Sie hat außerdem eine eigene Schmucklinie entwickelt, die sie übers Internet und auch an andere Boutiquen verkauft. Und jetzt noch etwas Neues, ganz Ungewöhnliches: Denn seit vier Wochen teilt sie sich ihr Geschäft mit Feras Aioub. Er war an einem Samstag im August plötzlich in ihr Geschäft gekommen und hatte eine Frage: Er wollte ein Ladenlokal in Meerbusch mieten, so Linden. Mit dieser Begegnung begann für beide ein neues Kapitel in ihrem Leben.

Feras Aioub, ein syrischer Kurde, der mit seiner Familie in Düsseldorf lebt, wollte nach einer langen Zeit voller Unsicherheiten und Ungewissheit wieder auf eigenen Füßen stehen, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie selbst verdienen. Glückliche Fügung für Anneke Linden: Er ist Modedesigner und Schneider. Darum lag eine Zusammenarbeit auf der Hand. Nur wenige Monate später war es dann soweit. „Wir haben den Laden umgebaut, eingerichtet und Nähmaschinen gekauft. Seit Mitte Dezember arbeitet er hier“, erzählt die Unternehmerin. Nach jeder Menge Papierkram ist Feras Aioub nun offiziell Unternehmer. Der 39-Jährige erfuhr dabei Unterstützung durch die IHK, denn er war im Förderprogramm der Kammer. Grund: Aioub ist Flüchtling, hat vor sechs Jahren seine Heimat Damaskus verlassen.

Es herrschte Bürgerkrieg in seinem Land. Er floh mit seiner Familie 2011 nach Beirut in den Libanon, wo eine Schwägerin lebte. Dort war es beruflich zunächst schwierig für ihn, Fuß zu fassen. „Ich habe überall angerufen. „Als ich sagte, dass ich syrischer Modedesigner bin, wollte mir keiner eine Chance geben.“ Beirut gilt als Hochburg der Mode im arabischen Raum, Syrien dagegen ist nicht unbedingt für Mode-Kreationen bekannt. Schließlich fand er eine Stelle als Schneider in einem Atelier, beeindruckte den Designer Tony Yaacoub, für dessen Label er damals arbeitete. So konnte er wieder Mode designen, entwarf unter anderem Kleidung für einen libanesischen TV-Star. Doch auch in Beirut fanden Feras Aioub und seine Familie keinen Frieden. Istanbul war nächste Station. Dort lebte ein Schwager. Aioub fand wieder Arbeit als Modedesigner. Doch die Unruhen verfolgten die mittlerweile sechsköpfige Familie, die sich nun entschied, nach Deutschland zu gehen. Feras Aioub sollte sich zunächst alleine auf den Weg machen, das Geld reichte nur für eine Person. Die ersten beiden Versuche scheiterten – einmal wurde er verhaftet, dann war die Flucht zu gefährlich. Als 2015 schließlich die Grenzen geöffnet wurden, schafften es Aioub und seine Familie über die Balkanroute nach Deutschland. Sie landeten zunächst in Stendal bei Berlin. „Ich habe immer darauf gewartet, dass es für mich weitergeht“, erzählt der vierfache Familienvater. Heute lebt er mit seiner Familie in Düsseldorf, arbeitete dort zunächst zwei Jahre bei einer Schneiderin. „Ohne Beruf war mir immer langweilig“, erzählt er.

Dabei stammt sein Talent zur Schneiderei aus der Familie. „Auch meine Mutter hat immer genäht“, erzählt der 39-Jährige. Nach zwei Jahren im Schneiderberuf, fing er nebenberuflich an, an einer Schule für Modedesign in Damaskus Kurse zu belegen. Er arbeitete für verschiedene Modeunternehmen als Designer – doch er blieb nirgendwo lange, denn er wollte alles lernen: Hemden, Hosen, Brautmoden und Jacken. Wenn ihn jemand fragte, warum er ständig wechselte, antwortete er: „Das ist mein Plan. Ich will überall Erfahrungen sammeln.“

Und jetzt Meerbusch: Seine damalige Chefin aus Düsseldorf habe ihm geraten, sich in Meerbusch selbstständig zu machen und nicht in der Landeshauptstadt, sagt Aioub. Und so fand er den Weg nach Büderich zu Anneke Linden. Wer die Boutique betritt, hat jetzt nicht nur die Auswahl bei Mode und Schmuck, sondern kann auch noch Änderungen und Maßkonfektionen an der Kleidung vornehmen lassen. „Feras ist jeden Morgen ab 10 Uhr da. Er macht alles“, erzählt Linden. Jacken, Hosen, Blusen – auch Hausbesuche für Änderungen. „Für uns beide ist das eine Win-Win-Situation“, findet Linden. „Wir können einzeln Kunden bedienen und auch zusammen.“ Linden unterstützt Aioub zudem in bürokratischen Dingen. „Anneke hilft mir sehr viel“, sagt er. „Wir arbeiten als Team“, so Linden.

Seine Wünsche für Zukunft? „Mehr Kunden, aber auch nicht zu viele“, sagt Aioub und lacht. Dabei läuft es schon ganz gut. Nächste Woche hat er schon einen Termin bei einer Dame, die Änderungen an drei Kleidungsstücken will, Anneke Linden wird ihn begleiten. Am 2. Februar feiern sie mit Gästen die offizielle Eröffnung von Feras Aioubs Schneiderei. Um das neue Kapitel in beider Leben zu feiern.

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