Meerbusch Der lange Abschied vom Zirkus Hansa

Meerbusch · Nach zwölf Wochen verlässt der Zirkus Hansa sein unfreiwilliges Quartier in Osterath. Meerbuscher Vereine und Privatpersonen haben 20.000 Euro für ein neues Zelt gespendet, das nun mit ins Winterquartier mitkommt.

 Tierpfleger Gerd Müller und Zirkusdirektor Charlie Neigert packen zusammen. Am Freitag geht es Richtung Winterquartier Mönchengladbach.

Tierpfleger Gerd Müller und Zirkusdirektor Charlie Neigert packen zusammen. Am Freitag geht es Richtung Winterquartier Mönchengladbach.

Foto: Dackweiler, Ulli (ud)

Es gibt Momente, da läuft im Radio genau das richtige Lied. Tierpfleger Gerd Müller hört gerne WDR 4. "Es fährt ein Zug nach Nirgendwo" von Christian Anders dröhnt an diesem Mittwochmittag aus den Boxen. Der Zwei-Meter-Hüne verzieht keine Miene und füttert weiter die Kamele und Pferde auf dem Hans-Lampenscherf-Platz in Osterath. Seit dem 22. Oktober vergangenen Jahres sitzt der Zirkus Hansa in Osterath fest. Jetzt werden die Koffer gepackt, die Materialien verstaut und es geht nicht mit dem Zug nach Nirgendwo, sondern mit dem Lkw in das Winterquartier nach Mönchengladbach. Am Freitag!

Ein starker Sturm hatte vor zwölf Wochen das Zelt zerstört, einen Lkw-Anhänger umgeschmissen und die Inneneinrichtung schwer beschädigt. "Ich erinnere mich heute noch an den lauten Knall", sagt Zirkusdirektor Friedrich Neigert, den alle nur Charlie nennen. Der 54-Jährige ist in einem Wohnwagen geboren und lebt noch heute in einem Wohnwagen. Mit Wohnzimmer zum Herauskurbeln, ganz gemütlich, ganz komfortabel. Einen festen Wohnsitz hat er nicht. "Einmal Zirkus, immer Zirkus", sagt Neigert, der den Betrieb mit seinen Brüdern leitet. Als der Sturm das Zelt zerstörte, versuchten sie zu retten, was zu retten war.

"Die Feuerwehrleute sind nicht in das Zelt reingegangen — konnten uns aber auch nicht mehr dran hindern. Das war richtig gefährlich für uns", sagt Neigert. Musikanlage und einige Requisiten konnten die Zirkusleute noch retten. Das Zelt nicht mehr, viele Sitzbänke sind ebenfalls kaputt gegangen, der Lkw-Anhänger ist mittlerweile auf dem Schrottplatz gelandet.

Keine Vorstellungen bedeuten: keine Einnahmen. "Wir konnten noch das ausbezahlen, was wir in der Kasse hatten", sagt Neigert. Einige Artisten haben sofort den Zirkus verlassen und sich anderswo Engagements gesucht. Zurück blieben 32 Personen und 60 Tiere, die Tag für Tag Essen brauchen. Heu und Stroh fallen auch täglich an. Schwierige Zeiten brachen an. Einige Zirkusmitglieder haben an den Eingängen von Supermärkten um Spenden gebeten. Doch das wenige Geld reichte nicht. Schon gar nicht für ein neues Zirkuszelt, um in diesem Jahr wieder Einnahmen erzielen zu können.

Immer mehr Menschen wurden durch die Berichterstattung in den Medien auf den Zirkus aufmerksam. Sie kümmerten sich. Um eine Webseite, ein Spendenkonto, um frisches Heu und Stroh, um warme Kleidung, um Gas für die Heizung und um Essen für die Zirkusleute. Manche gaben mehrere Säcke mit Kleidung ab, andere ganze Kartons voller Konservendosen. Manche Dosen waren nicht mehr haltbar, manchmal zählt eben auch der gute Wille.

Ganz besonders kümmerten sich viele um ein neues Zelt. Kurz vor Weihnachten war es so weit: 20.000 Euro hatten die Meerbuscher gespendet, darunter waren einige große Einzelspenden aber auch viele, die fünf Euro auf das Spendenkonto eingezahlt haben. Und das, obwohl der Zirkus nicht mal eine Spendenquittung ausstellen konnte, die man dem Finanzamt vorlegen könnte. "Das hätten wir niemals für möglich gehalten", sagt Charlie Neigert. Das wird er den Meerbuschern nicht vergessen. Nicht vergessen kann er auch die Großzügigkeit der Stadt. Die den Zirkus bis zuletzt geduldet hat, obwohl das Gastspiel eigentlich schon lange abgelaufen war. Die für Frischwasser und Strom gesorgt hat. Und nicht mit Bußgeldern und Platzverweis gedroht hat.

Im Winterquartier können die Tiere nun in einer Halle für die neue Saison trainieren. 30 Gastspiele sind geplant, der Rubel soll wieder rollen. "Wenn ich höre, wir quälen unsere Tiere bei der Dressur, werde ich richtig sauer", sagt Charlie Neigert. Das laufe nur mit Lob und Belohnung ab, da könne sich jeder jederzeit von überzeugen. Überzeugen ist ein gutes Stichwort. Viele hat der Zirkus fasziniert. Weil alles echt ist, alles zum Anfassen, zum Mitmachen, zum Mitlachen und manchmal auch zum Mitweinen.

(RP)
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