Leverkusen Zuschauer fällen ein deutliches Urteil im Gericht

Leverkusen · Er hat 164 Menschen wissentlich in den Tod geschickt, entgegen der Anordnung seines Vorgesetzten. Trotzdem plädierte die deutliche Mehrheit der Schöffen für "nicht schuldig", weil nämlich Kampfpilot Lars Koch Schlimmeres mit dem Abschuss einer Linienmaschine in der Hand eines Terroristen verhindern wollte. Der nämlich hätte das Flugzeug in ein vollbesetztes Stadion stürzen lassen. Darf man 164 Menschenleben auslöschen, um damit 70.000 andere zu retten? Lässt sich der Konflikt wie eine mathematische Gleichung lösen? Nein, vertritt die Staatsanwältin klar, denn niemand darf andere Menschen zum Objekt machen.

So schreibt es das Grundgesetz vor, das im ersten Kapitel erklärt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Die Laienrichter, die in der Opladener Festhalle saßen und gespannt die "Gerichtsverhandlung" auf der Bühne verfolgten, entschieden anders. Nicht alle, aber eine klare Mehrheit. Ähnlich wie vor drei Wochen die Fernsehzuschauer, die es schafften, per Telefon, SMS oder Mail an dem interaktiven Schauspiel "Terror" von Ferdinand von Schirach teilzunehmen.

Der Autor hat zwei unterschiedliche Schluss-Szenen mit entsprechender Urteilsbegründung geschrieben, je nach Votum der Zuschauer. Zur Zählung mussten sie den Saal nach der Pause durch eine der beiden Türen "schuldig" oder "nicht schuldig" wieder betreten. Auf diese Weise konnte sich keiner vor der durchaus schwierigen Entscheidung drücken. Als Forum-Dramaturgin Claudia Scherb diese Produktion des Tournee-Theaters Euro-Studio Landgraf buchte, konnte sie noch nicht ahnen, dass derselbe Stoff in einer Fernsehaufzeichnung so kurz vorher gesendet wurde.

Der Neugier des Publikums jedenfalls tat das keinen Abbruch, die Festhalle war so gut wie ausverkauft. Selten war es bei einem handlungsarmen Schauspiel dermaßen ruhig und konzentriert, was sicher auf das Konto der Besetzung geht, die zur Sache auch unterschiedliche Typen präsentierte. Unbestechlich, routiniert und beherrscht spielte Johannes Brandrup den vorsitzenden Richter, der zwischendurch die Anmerkungen fürs Protokoll in sein Diktiergerät sprach.

Die schmallippige und verbissen ernst wirkende Staatsanwältin, so wie sie Annett Kruschke zeigte, gewann keine Sympathiepunkte für ihr Plädoyer mit der Forderung "schuldig". Nachlässig, cool, verspätet und mit Zwischenrufen trat Christoph Schlemmer als Verteidiger vor das Gericht. Beherrscht, reflektiert, korrekt und intelligent zeichnete Christian Meyer den Angeklagten. Überzeugend auch Peter Donath und Tina Rottensteiner in den Nebenrollen als geladene Zeugen.

Diese packende Inszenierung von Thomas Goritzki dürfte die Zuschauer jedenfalls auch noch auf dem Heimweg beschäftigt und Anlass zu kontroversen Diskussionen gegeben haben.

(mkl)
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