Leverkusen Wenn ein Trinker die Bühne seziert

Leverkusen · Otto Sander verkörpert in „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ beides in Perfektion. Er gibt den Trinksüchtigen, der dezidiert ebenso das Bühnenleben seiner Tochter seziert wie über die Öffnung eines Leichnams doziert. Ein groteskes, bitterböses Stück in genialer Besetzung.

Text hat er kaum zu sprechen und die wenigen Sätze sind meistens auch noch Wiederholungen seines emsigen Vorredners. Trotzdem faszinierte Otto Sander durchgehend. Ihm gebührte die fast ungebrochene Aufmerksamkeit eines stillen und aufmerksamen Publikums im Erholungshaus.

Sander spielte den alkoholkranken Vater in Thomas Bernhards Stück „Der Ignorant und der Wahnsinnige“.

Als Kellner Winter war er auch schon bei der Uraufführung vor 36 Jahren dabei, als Bruno Ganz den ewig dozierenden Doktor verkörperte.

Erschreckend echt ist Otto Sander in der Rolle des Trunksüchtigen, der die Phase der Heimlichkeit längst hinter sich hat und ganz ungeniert alle paar Minuten einen Schluck aus der Flasche nimmt. Es sind gerade die Kleinigkeiten, die das charakteristische Bild ausmachen.

Wie er die Schnapsflasche auf den Boden stellt und mit den Fingern den Abstand zum Stuhlbein tastet oder wie er sich bewegt, blind und betrunken zugleich. Nicht schlingernd und schwankend, sondern im extra aufrechtem Gang, mit dem der Alkoholiker seine Nüchternheit vortäuschen will.

Und doch merkt jeder an der ungelenken, übertrieben unauffälligen Art was los ist. Er lallt nicht, sondern spricht extrem bedacht, zu bedacht. Als Vater einer erfolgreichen Sängerin, die in Wirklichkeit den Bühnenbetrieb satt hat, verharrt er in deren Garderobe. Er bangt um sie und vergöttert seine Königin der Nacht, die im Feuilleton als Koloraturmaschine gilt. Mit Theater und insbesondere der Oper geht Bernhard in diesem Stück ziemlich hart ins Gericht. Er seziert das Geschehen auf und hinter der Bühne im wahrsten Sinne des Wortes. Denn da doziert der Begleiter und Doktor über die sachgerechte Öffnung eines Leichnams. Marc Oliver Schulze gelingt es erstaunlicherweise tatsächlich, diesem trockenen, langen Text, der dem Vorlesungsskript über eine Obduktion entstammt, einige Pointen abzugewinnen.

Christine Schönfeld gibt die „Königin der Nacht“ – nicht nur auf der Bühne. Innerlich leer und unausgefüllt, des Kulturbetriebs müde, hat sie die Rolle der Diva aber doch längst ins Privatleben übertragen. Da ist sie ebenso leblos wie die künstlich weiß geschminkte Maske, die sie sich für den Bühnenauftritt wünscht. Martin Horn und Karin Moog geben neben den großartigen Kollegen auch den Nebenrollen als Kellner beziehungsweise Maskenbildnerin eine charakteristische Note.

Dieses bitterböse Stück, immer wieder mit der grotesken Übertreibung arbeitet, ließ die Zuschauer bis zum Ende in gespannter Stille lauschen.

(RP)
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