Leverkusens „Kleiner Mike Tyson“ aus Monheim Vom Afghanistan-Flüchtling zum Box-Champion

Leverkusen / Langenfeld / Monheim · Seine Kollegen im Langenfelder Krankenhaus nennen ihn den „kleinen Mike Tyson“: Ayoub Qalandari (20), TSV-Bayer-04-Fliegengewicht aus Monheim, hat es inzwischen zum Deutschen Vizemeister gebracht. Die lebensgefährliche Flucht nach Europa überstand der damals 15-Jährige mit Glück und langem Atem.

 Viermal stand Ayoub Qalandari nach Deutschen Meisterschaften bereits auf dem Treppchen. Aber auch privat und beruflich ist der TSV-Bayer-04-Boxer seines Glückes Schmied in Deutschland.

Viermal stand Ayoub Qalandari nach Deutschen Meisterschaften bereits auf dem Treppchen. Aber auch privat und beruflich ist der TSV-Bayer-04-Boxer seines Glückes Schmied in Deutschland.

Foto: TSV Bayer 04

50 Kilo wiegt er, verteilt auf 1,60 Meter Körpergröße. Dieser ausgewachsene Mann ist nicht gerade ein Hüne. Und wenn Ayoub Qalandari an seinem Arbeitsplatz, dem Langenfelder St.-Martinus-Krankenhaus, die Betten frisch bezieht oder Patienten der „Inneren“ die Medikamente bringt, dann ist er immer freundlich und zuvorkommend. Zumindest einige Kollegen wissen indes, dass der 20-Jährige eine Rechte mit Wumm hat: Fliegengewicht Ayoub Qalandari, Athlet des TSV Bayer 04 Leverkusen aus Monheim, gehört zur deutschen Spitze im Boxen.

Dort geht es bekannlich weniger zimperlich zu als auf einer Krankenstation. Seinem Ruf als fürsorglicher Krankenpfleger schadet das keineswegs. Der gebürtige Afghane genießt hohes Ansehen – und großen Respekt, denn seine Geschichte hat es in sich.

Mit 15 Jahren kam Ayoub aus Afghanistan nach Deutschland. Der Junge floh vor den Taliban, es ging ums nackte Überleben. Dass ihn seine Eltern allein auf den Weg nach Europa schickten, lag am mangelnden Geld. Seine Eltern hätten eigens ihre Wohnung verkauft, um die Familie in Sicherheit zu bringen, berichtet der TSV-Athlet. Doch der Erlös reichte nicht für alle, so dass sie entschieden: Ayoub, geh du nach Europa, um eine bessere Zukunft zu haben – wir werden in den Iran gehen.

Seine Flucht war strapaziös. Weite Strecken legte Ayoub zu Fuß zurück, aber auch als Mitfahrer in Autos oder LKW’s kam er voran. Von der Türkei aus musste er mit einem Schlauchboot nach Griechenland übersetzen – zusammen mit etwa 60 anderen Flüchtlingen, die sich darauf gequetscht hatten. Der damals 15-Jährige musste mit ansehen, wie Menschen über Bord gingen und ertranken.

Vergessen wird Ayoub diese Bilder nie. Inzwischen aber bestimmen glückliche Momente sein Leben. Dazu zählt, wie er in der Boxabteilung des TSV Bayer 04 Fuß fasste. Nachdem er 2019 mit Inter Monheim NRW-Meister geworden war, stieß er über eine Internet-Recherche zum TSV. Seine ersten Leverkusener Trainer Jörg Heidenreich und Daniel Beeck erkannten sofort das Talent des Afghanen, der aktuell von Beeck und Daniel Prosch gecoacht wird. „Hier in Leverkusen habe ich tolle Möglichkeiten, mich weiterzuentwickeln“, sagt Ayoub.

Sein sportlicher Werdegang mutet auf den ersten Blick erstaunlich an, denn in Afghanistan trieb er überhaupt keinen Sport. Doch auf den zweiten Blick löst sich die Verwunderung auf: Ayoub ist sozial, hat Ehrgeiz und Durchhaltevermögen. Seine Beharrlichkeit half ihm nicht nur auf der Flucht nach Europa, sondern auch beim Fußfassen in Deuschland. „Ich hatte ja anfangs keinerlei Deutsch-Kenntnisse, wollte aber unbedingt eine Berufsausbildung machen“, erzählt der junge Mann. So besuchte er zunächst die Gesamtschule in Monheim und anschließend das Berufskolleg. Zielstrebig war er auch in der Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger, die er in der Regelzeit abschloss. Ein Beruf, den er nicht zufällig wählte: So sehr Ayoub seine eigene Entwicklung im Blick hat, so sehr liegen ihm die anderen am Herzen. Schon bald nach seiner Ankünft in Deutschland etwa sammelte er in der Fußgängerzone Spenden für andere Geflüchtete.

Auch im Sport kommt ihm seine Power zugute: „Ich habe recht schnell gemerkt, dass ich mit dem Boxen etwas erreichen kann. Dieses Ziel lasse ich nicht aus den Augen“, sagt der junge Afghane. Inzwischen ist er auch noch Familienvater: Seine Frau und er sind stolze Eltern eines vier Monate alten Babys.

Viermal pro Woche trainiert Ayoub nach dem Job in der Boxhalle auf der Kurt-Rieß-Anlage in Leverkusen, um an Technik und Kondition zu arbeiten. Mit Erfolg: Dreimal Deutscher Vizemeister, lautet die Zwischenbilanz. Auch wenn es in diesem Jahr nicht ganz so gut lief. Bei der DM in Bayern geriet er direkt an einen sehr starken Gegner und unterlag. Am Ende stand – „nur“ – die Bronzemedaille. Was für den TSV-Boxer nur eines bedeutet: „Aus der Erfahrung lernen und weitermachen!“ Für Ayoubs Kolleginnen und Kollegen im Richrather Krankenhaus ist die Platzierung bei Meisterschaften ohnehin zweitrangig. Sie nennen ihn – so der so – respektvoll „Kleiner Mike Tyson“.

(gut)
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