Serie Umsteigen bitte! Probefahrt – Finger weg vom Nothammer

Serie | Leverkusen/Köln · Wie komme ich schnell und bequem zur Arbeit? Bus und Bahn sind längst nicht für alle erste Wahl. Das hat Gründe. Auch unser Autor fährt lieber Auto. An einem Sommertag hat er sich aus Köln auf dem Weg zur Redaktion in Opladen gemacht und einiges erlebt. 

 Maske auf und los! Bernd Bussang probiert die klimafreundliche Variante und fährt mit der Bahn. Im Kölner Hauptbahnhof steigt er um.  

Maske auf und los! Bernd Bussang probiert die klimafreundliche Variante und fährt mit der Bahn. Im Kölner Hauptbahnhof steigt er um.  

Foto: Bernd Bussang

Als Pendler, der an Bürotagen zweimal den Rhein queren muss, habe ich mich bisher auf der jeweils 25 Kilometer langen Strecke von Köln-West nach Opladen für das Auto entschieden. Und ehrlich gesagt, ein allzu großer Freund des öffentlichen Nahverkehrs war ich bisher nicht. Das Neun-Euro-Ticket könnte auch bei mir ein Umdenken bewirken. Also steige ich an diesem Tag probehalber um auf die Bahn.

Die Fahrt beginnt an der Haltestelle Sülzburgstraße in Köln.

Die Fahrt beginnt an der Haltestelle Sülzburgstraße in Köln.

Foto: RP/Bernd Bussang

Die Fahrt Um 8.26 Uhr (Journalisten starten später) steige ich in Köln an der Station Sülzgürtel in die Linie 18 der Stadtbahn. Sie ist pünktlich. Fast hätte ich vergessen, die Maske aufzuziehen. Alle Fenster sind offen, alle Sitzplätze belegt. Es zieht.

Die Regionalbahn 48 fährt pünktlich im Kölner Hauptbahnhof ein.

Die Regionalbahn 48 fährt pünktlich im Kölner Hauptbahnhof ein.

Foto: Bernd Bussang

Nach acht Stationen erreiche ich den Hauptbahnhof. Um 8.52 Uhr fährt pünktlich der RB 48 nach Oberbarmen ein. Ein Mann mit freiem und weithin tätowiertem Oberkörper schwankt mir entgegen und fragt. „Wo sind wir hier?“ – „Hauptbahnhof“, antworte ich. „In welcher Stadt?“ – „Köln“ _ „Wie komme ich wieder zurück?“ – „Am besten aussteigen.“

Viele der gepolsteren Sitze sind frei. Der Regio-Zug von National Express wirkt sauber und gepflegt. Ich gönne mir einen Blick aufs Rheinpanorama. Die Atmosphäre ist entspannt. Manche Fahrgäste tragen Kopfhörer, fast alle daddeln auf dem Handy. Im gemächlichen Tempo zockelt der Zug über die Hohenzollernbrücke.

 Ein Dauerärgernis für Bahnfahrer: Erneut ist der Aufzug im Treppenturm am Opladener Bahnhof gesperrt. 

Ein Dauerärgernis für Bahnfahrer: Erneut ist der Aufzug im Treppenturm am Opladener Bahnhof gesperrt. 

Foto: Bernd Bussang

Köln-Deutz. Die Ruhe endet. Eine Schulklasse betritt den Waggon. „Bleibt zusammen“, ruft der Lehrer. „Kann ich was trinken?“, fragt ein Kind genervt. Als alle sitzen, wird es ruhiger. „Können wir den Nothammer da runter nehmen?“, will ein Junge vom Lehrer wissen. „Nur wenn es wirklich gefährlich wird“, sagt der Pädagoge bestimmt. Die Durchsage kündigt eine Fahrtverzögerung an. Fahrkartenkontrolle. Ich zeige mein Neun-Euro-Ticket. Köln-Mülheim.

 Nach einer etwas zugigen Fahrt mit der Kölner Linie 18 geht es aus der U-Bahn rauf in den Hauptbahnhof. 

Nach einer etwas zugigen Fahrt mit der Kölner Linie 18 geht es aus der U-Bahn rauf in den Hauptbahnhof. 

Foto: Bernd Bussang

Im Zug ist es voller geworden, doch gibt es weiter freie Sitzplätze. Wir überqueren die A 3, auf der ich bisweilen im Stau stehe. Die Schüler tauschen ihre aktuelle Finanzlage aus. „Zur Kommunion habe ich 300 Euro bekommen“, sagt einer stolz. Der andere holt aus seinem Portemonnaie einen Zehn-Euro-Schein und hält ihn seinem Gegenüber mit einem Grinsen vor die Nase. Offenbar führt der Klassenausflug nach Wuppertal. Der Lehrer weckt Vorfreude auf die Schwebebahn. Leverkusen-Manfort.

„Nehmt eure Rucksäcke auf den Schoß, damit sich Leute hinsetzen können“, sagt der Chef. Die Schüler gehorchen. Ein schräg gegenüber sitzender Junge wirkt angespannt und tritt beharrlich gegen meinen Nachbarsitz. Ich blicke erst streng, dann lächele ich ihn an. Er hält die Füße still.

Opladen. 9.15 Uhr. Ich steige aus. Auf dem Bahnsteig ist die Rolltreppe kaputt. Immerhin funktioniert der Fahrstuhl. Ich nehme aus Trainingsgründen die lange Treppe. Im Treppenturm, der mich abwärts führen soll, ist der Fahrstuhl weiterhin kaputt. Das Treppentraining geht weiter. Um 9.19 Uhr erreiche ich die Redaktion an der Bahnhofstraße. 56 Minuten von Tür zu Tür. Das ist  deutlich mehr als eine staulose Fahrt mit dem Auto, aber akzeptabel. Komfort: geringer. Erlebniswert: höher.

Die Kosten Das Neun-Euro-Ticket ist unschlagbar günstig, aber eben eine Ausnahme. Sonst kostet das Einzelticket der Preisstufe 2b 3,80 Euro, also 7,60 Euro hin und zurück. Mit dem Auto: Bei sieben Liter auf 100 Kilometer verbraucht das Auto auf 50 Kilometern 3,5 Liter. Bei einem Benzinpreis von 1,75 Euro wären das 6,12 Euro. Doch der Vergleich hinkt. Denn Abnutzungs- und Unterhaltungskosten am Fahrzeug müssten eingepreist werden ebenso anteilige Kosten der nötigen Garage am Arbeitsplatz. Vielleicht lohnt sich für den ein oder anderen auch ein Monatsticket der Bahn.

Fazit Der klimafreundliche Nahverkehr behält seine Tücken, der bequeme Platz im Auto seinen Reiz. Das Auto bleibt das meist schnellere und flexiblere Verkehrsmittel etwa bei Terminen außerhalb der Redaktion. Gerade in Abend- oder Nachtstunden wird es häufig als sicherer empfunden. Doch könnten ein dichteres Netz, ausgeweitete Kapazitäten und engere Taktungen viele zum Umdenken bewegen. Durch radikale Preisnachlässe wie das Neun-Euro-Ticket geraten selbst hartgesottene Automobilisten wie ich ins Wanken.

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