„Museum Litterale“ im Schloss Tucholsky und der „Fluch der Mittelmäßigkeit“

Schlebusch · Hochverehrtes Publikum, sag mal: Bist du wirklich so dumm wie uns an allen Tagen alle Unternehmer sagen? Kurt Tucholsky beklagte 1931 in seinem provokativen Gedicht „An das Publikum“ die allgemeine Gedankenlosigkeit und das Niveau des Mainstreams.

 Barbara Kleybold und Rüdiger Trappmann, der auch Regie führte.  Foto: UM 

Barbara Kleybold und Rüdiger Trappmann, der auch Regie führte. Foto: UM 

Foto: Miserius, Uwe (umi)

Und eigentlich ist der Text brandaktuell, denn verändert hat sich in den vergangenen 90 Jahren daran nichts. Jedenfalls nicht zum Besseren, denn immer noch gilt: „Es lastet auf dieser Zeit der Fluch der Mittelmäßigkeit.“ Diese Erkenntnis zog sich durch den Abend im voll besetzten Spiegelsaal, wo Tucholsky bei einer Museum-Litterale-Veranstaltung für zwei Stunden zum Leben erweckt wurde.

Barbara Kleyboldt schlüpfte in die Rolle des studierten Juristen, der sich dann aber stattdessen für die Profession des Schriftstellers entschied. Er schrieb für verschiedene Zeitungen, vor allem das sozialistische Parteiorgan „Vorwärts“ und veröffentlichte seine gesellschaftskritischen Texte unter vier verschiedenen Pseudonymen. Barbara Kleyboldt zitierte aus unterschiedlichen Veröffentlichungen, die dennoch alle denselben Hang zu Ironie oder gar Sarkasmus auszeichnet. Und ihr Duo-Partner Rüdiger Trappmann ordnete das Programm mit entsprechenden biografischen Bezügen ein. Er erinnerte an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als der radikale Gegner des Militarismus sein Gedicht von der „Pickelhaube“ schrieb und feststellte: „Dieses deutsche Bürgertum ist ganz und gar antidemokratisch.“ Den Untergang der Weimarer Republik nannte er „Selbstmord der Demokratie.“ Mit herber, tiefer, fast brutaler Stimme sang Kleyboldt: „Küsst die Faschisten“, ein Lied über den Kniefall des Bürgertums vor Hitler. Was darauf folgte ist bekannt. Für Tucholsky bedeutete es publizistisches Verstummen und den Rück­zug ins schwedische Exil, wo er kurz vor Weihnachten 1935 an einer Überdosis Tabletten starb.

Auch sein Verhältnis zu den Frauen wurde angesprochen, seine gescheiterten Liebesbeziehungen und den fiktiven Sohn, dem er zahlreiche Briefe schrieb. Die Sehnsucht nach Erfüllung, die unbefriedigt blieb, und die Gefühle, die er in Gedichten ausdrückte, aber mit Ironie übergoss. Als Beispiel rezitierte die Tucholsky-Darstellerin „Eine Frau denkt“. Passend zum Abend hatte Veranstalter und Buchhändler Manfred Gottschalk den Büchertisch im Schloss mit verschiedenen Tucholsky-Ausgaben und Hörbüchern bestückt.

Die nächste Ausgabe der Reihe findet am Donnerstag, 21. März, um 19.30 Uhr im Schloss Morsbroich statt. Dann stellt Burkhard Spinnen sein Buch „Und alles ohne Liebe“ über Theodor Fontanes zeitlose Heldinnen vor. Karten (inklusive Imbiss) zu 20 Euro im Vorverkauf, 24 Euro an der Abendkasse bei Buchhandlung Gottschalk, Mülheimer Str. 8, 0214 56481, www.buchhandlung-gotschalk.de

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