Leverkusen Trauermusik für Schmidt und Paris

Leverkusen · Manchmal überholen die aktuellen Ereignisse die langfristige Planung. So erging es Paul Hindemith, als er im Januar 1936 auf Konzertreise war. In London sollte sein Bratschenkonzert "Der Schwanendreher" aufgeführt werden, mit ihm als Solisten. Zwei Tage vor dem Konzert starb der englische König Georg V. und Hindemith wurde mit der Komposition einer Trauermusik beauftragt.

Die schrieb er praktisch über Nacht, für Schreiben und Kopieren der Stimmen sowie Proben hatte man nur wenige Tage. Insofern war die Musiziergemeinschaft der Kasino-Gesellschaft in einer weitaus komfortableren Lage. Das Orchester konnte sich die nötige Zeit nehmen, um das komplexe Stück einzustudieren, das sich nicht auf Anhieb erschließt.

Als der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt in der letzten Probenphase verstarb, entschloss man sich, diese Aufführung im Herbstkonzert dem bedeutenden Staatsmann zu widmen. Noch nicht ahnend, dass die Trauermusik für weitaus mehr Menschen erklingen sollte, die Opfer der Anschläge in der französischen Hauptstadt Paris am Freitagabend.

Das Programm des Herbstkonzertes in der Christuskirche war thematisch ganz auf den am Volkstrauertag abgestimmt. Und darin spielte Hindemiths getragene Trauermusik, in die sich zum Schluss der Bach-Choral "Für deinen Thron tret' ich hiermit" mischte. Das Viola-Solo, das der Komponist bei der Uraufführung selber spielte, setzte hier Peter Geifmann auf den Orchestersound. Ausdrucksvoll und sorgsam geführte Linien in tiefer, warmer Lage, vom weinenden, wehklagenden Beginn zu packender Intensität gesteigert. Dirigentin Ulrike Rocholl, die das Konzert auch moderierte, verglich Hindemiths Musik mit einem selten getragenen Kleidungsstück, das sich zunächst ungewohnt anfühle, bis man nach einiger Zeit merke, wie es passt.

Diese Phase der Annäherung hatten die bestens vorbereiteten Musiker längst hinter sich. Sie machten keineswegs den Eindruck, noch irgendwie mit der Komposition zu fremdeln. Und dem Publikum erleichterte man den Zugang ganz einfach durch die Wiederholung der Trauermusik. Der Solist schob einen Satz aus der Bach-Partita, eigentlich für Violine allein geschrieben, hinterher.

Die beschwingte und leicht tänzelnde Musizierfreude dieses wirklich topfitten Laienorchesters mit einigen professionellen Mitgliedern mochte Zuhörer des 20. Jahrhunderts darüber hinweg täuschen, dass auch Händels Concerto grosso d-Moll sehr wohl die Stimmung dieses Tages aufnahm. In der Musiksprache ist es die Tonart von Schicksal und Tod, die hier erst im aufgehellten Dur-Schlusssatz durch einen Hoffnungsschimmer erfährt. Spritzig und stilbewusst endete der Abend mit Mozarts Symphonie Nr. 29.

(mkl)
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