Runder Tisch Amateurfussball "Wir Amateure müssen um jeden Zuschauer kämpfen"

Leverkusen · Vor dem Ligastart der Amateurfußballer sprechen Trainer André Fanroth, Ralf Job und Dario Paradiso mit den RP-Mitarbeitern Markus Neukirch und Dorian Audersch über Trainertypen, die Gefahr der Übersättigung des Fußballs, Nachwuchssorgen und Strafenkataloge.

Herr Fanroth und Herr Paradiso, Sie beide haben als U 19-Trainer in ihren Vereinen die erste Seniorenmannschaft übernommen. War das eine große Umstellung?

Fanroth: Es war keine wirkliche Umstellung, was das Sportliche angeht. Natürlich muss man in Sachen Mannschaftsführung etwas ändern. Aber wir haben ein junges Team, da war die Differenz nicht so groß.

Paradiso: Dem kann ich mich nur anschließen. Unsere A-Jugend hat auch Leistungsfußball gespielt. Bei einem Altersdurchschnitt von 20,5 Jahren, wie wir ihn beim VfL nun haben, ist auch bei uns der Unterschied nicht groß.

Herr Job, würde es Sie reizen, eine A-Jugend zu trainieren?

Job: Ja und nein. Wenn, würde ich gerne bei Bayer 04 oder dem 1. FC Köln arbeiten - oder allgemein höherklassig, weil man mehr Möglichkeiten hat, das umzusetzen, was einem als Trainer vorschwebt. Ich wäre froh, wenn wir wieder eine gute U 19 melden könnten - es entscheidet sich vermutlich diese Woche, ob wir überhaupt eine haben werden, daher beneide ich die Kollegen etwas.

Wenn man keine A-Jugend hat. Wie kommt man an neue Spieler, wenn man eine Mannschaft weiter bringen möchte?

Paradiso: Ich konnte auf mein Netzwerk zurückgreifen und gezielt junge Spieler ansprechen, die Lust haben, sich zu präsentieren und vielleicht nur 15, 16. oder 17. Spieler in ihren Teams waren. Es ist aber sehr schwierig geworden, gerade wenn ein Verein finanziell nicht viel oder nichts bieten kann. Bei uns haben die Jungs die Chance, Landesliga zu spielen, sich zu zeigen und eventuell für Höheres zu empfehlen.

Fanroth (lacht): Du hast aber wenigstens das Argument "Landesliga", das öffnet die Türen etwas weiter. Wir haben schon im Januar angefangen und Gespräche geführt. Zudem haben wir ein Software-gestütztes Scouting-System eingeführt, was uns enorm weitergeholfen hat. Der Sprung aus unserer A-Jugend zu den Senioren ist schon enorm. Trotzdem haben wir zehn Neue im Team. Das ist auch ein kleiner Umbruch.

Job: Ich habe bestimmt 20 oder 30 Spieler aus der Bezirksliga angesprochen, weil wir gerne wieder um den Aufstieg mitspielen würden. Die meisten waren begeistert, auch im Training, entschieden sich aber doch gegen uns. Ohne Geld - und bei uns im Dorf mit einer vielleicht etwas weiteren Anreise - ist für viele dreimal Training pro Woche scheinbar nicht so lukrativ. Das ist schade.

Bayer 04 hat keine Zweite Mannschaft mehr, der VfL Leverkusen muss sie jetzt abmelden, die Reserven von Bergfried und Witzhelden spielen Kreisliga C. Wie wichtig ist für Sie eine "Zweite"?

Paradiso: Ich hätte mir sehr gewünscht, dass wir sie nicht zurückziehen müssen. Ich habe 26 teils sehr junge Spieler im Kader, die so zumindest Praxis hätten sammeln können, auch wenn zwischen der Landesliga und der Kreisliga B natürlich eine große Lücke klafft.

Fanroth: Grundsätzlich finde ich eine zweite Mannschaft wichtig, allerdings mit der Einschränkung, dass eine reine "Thekenmannschaft", wie es sie in einigen Vereinen gibt, nur bedingt hilft. Wir haben bei Bergfried das Ziel, eine U 23 zu haben, in der sich gerade die jungen Spieler anbieten können, die auf dem Sprung zur Ersten stehen.

Job: Früher haben wir gesagt: Pro Liga Unterschied gibt es zwei bis drei Gegentore im Spiel. Heute führen wir im Training nach 20 Minuten mit 7:0 oder 8:0, was uns nicht weiterhilft. Das sind alles gute Jungs in der Zweiten, aber das Gefälle zu uns ist schon groß. Wenn man es sich leisten kann - also genug Spieler für zwei oder mehr Seniorenteams hat - kann man deutlich enger zusammenarbeiten, was sinnvoller ist.

Mit Bayer 04 und dem 1. FC Köln haben wir zwei Bundesligisten im direkten Einzugsgebiet Ihrer Vereine. Inwieweit erschwert deren Spielplan - gerade mit Duellen unter der Woche - die Trainingsarbeit?

Fanroth: Bei uns ist das kein Thema, nicht mal bei den Dauerkarteninhabern. In den anderthalb Jahren gab es vielleicht zwei oder drei Abmeldungen wegen Bayer 04 - das ist auch in Ordnung so.

Paradiso: Sollte es mit den Champions-League-Spielen ein Thema werden, können wir vielleicht das Training vorziehen und dann die Partie bei uns gemeinsam im Vereinsheim schauen. Ansonsten bin ich der Meinung, dass die Priorität auf dem VfL liegen muss. Dass man alles daran setzt, um weiterzukommen und das heißt schlichtweg "Training geht vor".

Job: Mitunter war es bei uns schwierig, weil zu viele fehlten. Aber das ist nicht zwingend dem FC und Bayer 04 geschuldet. Ich denke, wir haben allgemein das Problem, dass heute die Prioritäten vielleicht anders liegen. Wir mussten vergangene Saison und auch in der Vorbereitung je ein Spiel absagen, weil ich plötzlich nur noch sechs oder sieben Spieler hatte - das kann es nicht sein.

Fanroth: Da habe ich echtes Glück. Bei mir fehlen allerdings die Sportstudenten vor Prüfungen, damit sie sich nicht verletzen.

Job: Das ist etwas anderes. Schule oder Ausbildung gehen immer vor. Familie auch, wenn es nicht gerade der 83. Geburtstag unter der Woche ist - dort kann man auch nach dem Training hingehen.

Paradiso: Ich sehe ein generelles Problem in der Einstellung. Gerade, wenn es darum geht, die Zähne zusammenzubeißen und sich auf etwas zu fokussieren, fällt das vielen schwer.

Fanroth: Das Anspruchsdenken heute ist anders. Es gibt vieles, was einfacher ist, als Fußball zu spielen, um sich zu beschäftigen. Die Gewichtung hat sich verschoben.

Greift man da als Trainer ein? Wer gestaltet den Strafenkatalog der Teams?

Paradiso: Wir haben unseren von der U 19 übernommen. Gerade was die Geldstrafen angeht, muss man aber vorsichtig sein und darf nicht zu hoch ansetzen.

Fanroth: Bei uns hat der Mannschaftsrat die Strafen festgelegt. Es gibt Jungs, die nicht so viel Geld haben und das auch nicht nur für Strafen ausgeben sollten. Wir greifen im Trainerteam dann lieber zu disziplinarischen Maßnahmen und lassen den Spieler vielleicht mal draußen - auch wenn's sportlich weh tut.

Job: Die Mannschaft hat einen Katalog erstellt, ich habe hier und da etwas geändert. Die Kirche sollte im Dorf bleiben und nicht jeder "Beinschuss" direkt Geld kosten. Wir waren mit einem mittleren vierstelligen Betrag auf Tour - das sagt alles.

Fanroth: Man muss vor allem aufpassen, dass sich die Mentalität nicht dahin verändert, dass man seinen Mitspieler nicht darauf aufmerksam macht, dass er etwas liegen lässt, um wie ein Geier auf die Geldstrafe zu pochen.

Job: Gerade in puncto Selbstständigkeit liegt vieles im Argen. Das bekommt man über den Strafenkatalog auch nicht geregelt. Ich habe viele liebe Kerle im Team, aber bei den Jungen läuft es nicht immer "geradeaus". Wir verlieren gerade einen guten Torwart, weil er keine Lust mehr auf Fußball hat - das ist schade. Jetzt stehen wir zum Saisonstart ohne Ersatz da - das ist bitter.

Franck Ribéry bezeichnete Pep Guardiola als "zu jungen Trainer". Insgesamt verschiebt es sich heute mehr in Richtung junge Übungsleiter - wie bewerten Sie das?

Job: Trainersein hat meiner Meinung nach nichts mit Alter und Erfahrung zu tun, oder nur bedingt.

Fanroth: Ältere Trainer sind vielleicht manchmal zu weit weg vom Leben der Jungs, vom täglichen Geschehen. Das hat Vorteile, aber auch Nachteile. Jüngere Trainer haben dafür den Nachteil, dass sie nicht unbedingt wissen, was sie zum Beispiel bei fünf Niederlagen am Stück am Besten machen. Ohne Rat und Hilfe von den "alten Hasen" steht man dann ziemlich alleine da.

Paradiso: Ich war Spielertrainer (in Leichlingen) - dort habe ich eine Partie ganz anders aufbereitet als zu der Zeit, als ich "nur" Spieler war. Ich sehe es auch so, dass man als jüngerer Trainer näher an den Jungs dran sein kann. Aber das ist keine Frage des Alters, wie man bei Carlo Ancelotti sieht. Die Spieler loben ihn als freundlichen und netten Menschen, über sein Trainerverhalten hat sich noch keiner geäußert. Man muss einen guten Mittelweg finden und sich auch auf die Jungs einstellen können, nicht nur umgekehrt.

Fanroth: Otto Rehhagel hat mal gesagt: Es gibt nicht alt oder jung, es gibt nur gut oder schlecht.

Job: Genauso ist es. Ich mache alle zwei Jahre Fortbildungen, bei denen man nützliche Tipps bekommt, wie man mit den veränderten Anforderungen klar kommt. Man muss mit der Zeit gehen und sich und seinen Stil perfektionieren, dann kann man auch im "hohen Alter" noch erfolgreicher Trainer sein. Wie Jupp Heynckes zum Beispiel: Er hat mit fast 70 einen Spielstil entwickelt, der enorm erfolgreich war und bei den Spielern toll ankam - aber nur, weil er aus "früher" Lehren gezogen hat und auf "heute" adaptierte - das ist der Weg. Mit Medizinbällen kommt keiner mehr weiter.

Fanroth: Bei uns müssen trotzdem noch die Jungen die Bälle raus- und wieder reinholen.

Job: Bei uns sind mal die Alten, mal die Jungen dran.

Paradiso (lacht): Ich hab nur junge Spieler.

Wie stehen sie zum "allgegenwärtigen Fußball"? Gibt es eine Übersättigung, gerade im Fernsehen?

Job: Ich mag es, dass ich Fußball sehen kann, wann ich will. Heute schaue ich mir aber nur noch die Samstagsspiele an, stehe sonntags bei uns auf dem Platz - und wenn es wichtige Spiele sind, vielleicht noch die Champions-League und Nationalmannschaft - das reicht dann.

Fanroth: Ich bin vielleicht der Falsche, um das zu bewerten. Zuletzt habe ich mich dabei erwischt, wie ich sonntags morgens die japanische Liga geschaut habe. Allerdings ist das für mich weniger "Übersättigung" als die logische Folge, mit Angebot auf Nachfrage zu reagieren. Wir dürfen in Deutschland den Bogen aber nicht überspannen. In England muss eine Familie locker 150 Pfund für ein Spiel berappen und hat dann noch mehrere PayTV-Abos - das kann es nicht sein. Auch wenn dadurch vielleicht wieder mehr Besucher zu uns Amateuren kommen, weil sie weniger bezahlen und genauso Spaß haben: Wir müssen um jeden Zuschauer kämpfen.

Job: Bei uns im Höhendorf ist es leichter - der VfL ist sonntags eine Institution - das bringt bei Negativserien aber auch Unruhe. In der Vorbereitung laufen wir anfangs gezielt durchs Dorf, dass alle wissen: "Der VfL ist wieder da" - das hilft. Der DFB spricht stets von der "Basis", die Sie alle mit ihren Vereinen bilden. Was wünschen Sie sich vom DFB?

Job: Es wird immer von "Professionalität" gesprochen, die Trainer und Betreuer an den Tag legen sollen. Ich würde mir wünschen, dass zum Beispiel Fortbildungen günstiger oder attraktiver gemacht werden. Es ist hart, sechs Wochen Urlaub zu nehmen, um eine Lizenz zu erwerben.

Fanroth: Für mich nimmt diese Regulierung überhand, und es wird mit zweierlei Maß gemessen. In der Bundesliga dürfen Teams für Wettanbieter werben, wir aber bekommen eine Strafe, wenn wir das tun. Zuletzt hatte eine große Kette eine Aktion mit 70 Prozent Nachlass auf Trikots, die allerdings das Logo eines Wettanbieters haben. Wir können sie deshalb nicht verwenden. Ich finde es auch befremdlich, dass in der Bundesliga 16-Jährige spielen dürfen, bei uns aber ist das nicht möglich, weil es strenge Auflagen gibt, die kaum erfüllbar sind.

Fanroth: Es sollte nicht vergessen werden, dass die Basis das Fundament der Spitze ist. Eine erste Mannschaft ist auch Aushängeschild eines Vereins, was wiederrum als Zugpferd dient - auch für den Jugend- und Breitensport.

Die Saison beginnt am Wochenende. Welche Schlagzeile würden Sie in der RP gerne mal über sich lesen?

Paradiso: Ich wäre froh, im April oder Mai zu lesen: "VfL schafft den Klassenerhalt". Nach dem Umbruch ist dies das einzige Ziel. Streng genommen endet unsere Vorbereitung mit dem letzten Spiel.

Fanroth: Ich habe eine Milchmädchenrechnung aufgemacht: Ein Drittel weniger Gegentore, dafür ein Drittel mehr Punkte. "Fanroths Rechnung geht auf" wäre prima.

Job: Wir haben in der Rückserie enorm schwankende Leistungen gezeigt, auch in der Vorbereitung gab es viel Licht und viel Schatten. Also so etwas wie "VfL Witzhelden fährt in konstanter Spur" wäre schon fein.

(mane)
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