Leichtathletik Scherbarth auf dem Sprung zu den Besten

Leverkusen · Der Stabhochspringer des TSV Bayer startet ab Freitag bei der Hallen-EM in Prag. Ziel ist das Finale.

Der Gang zur Leichtathletikhalle auf dem Fritz-Jacobi-Sportgelände des TSV Bayer lässt erahnen, wie viel sportliche Kraft sich hinter den Hallenwänden befinden muss. Im Eingangsbereich des Sportkomplexes fällt der Blick unweigerlich auf die beiden großen Tafeln, die Leverkusens vereinseigene Rekordhalter wie auch die international erfolgreichen TSV-Athleten namentlich auflistet. Disziplin für Disziplin, das "Who is who" der deutschen Leichtathletik. Nur allzu gerne würde Tobias Scherbarth dort auch einmal stehen.

Der 29-jährige Stabhochspringer, der seit fast einem Jahrzehnt für den Bayer-Klub startet und beruflich während dieser Zeit ein Diplom in Sportwissenschaft und einen MBA in Sportmanagement abgeschlossen hat, ist sportlich auf einem guten Weg. Die Zeit der Rückschläge nach zwei leidigen Fußverletzungen scheint vorbei, jedenfalls verschwendet er darauf nicht mehr allzu viele Gedanken.

Warum auch? Im vergangenen Jahr holte er sich den deutschen Freilufttitel, vor kurzem ließ er unter dem Hallendach ein weiteres Mal DM-Gold folgen. Die Richtung stimmt, das Scheitern in der Qualifikation bei der Freiluft-EM in Zürich änderte daran nichts. Am Wochenende folgt der nächste Höhepunkt: die Hallen-Europameisterschaften in Prag, die von der Besetzung her fast einer WM gleich kommen.

Wer in Prag den Stabhochsprung gewinnt, ist für Scherbarth klar. Der Sieg geht nur über den französischen Ausnahmespringer und Weltrekordler Renaud Lavillenie (6,16 Meter). "Renaud springt in einer eigenen Liga - vergleichbar mit einem Michael Jordan im Basketball", sagt Scherbarth. "Was mich an ihm fasziniert: Er lebt und atmet Sport - und das jeden Tag. Er kommt aus einer Stabhochsprungfamilie und hat das Springen im Blut. Springen ist das beste Training. Es gibt keinen anderen, der so viel springt wie er. Dieses Training kann man nicht einfach kopieren. Aber man kann Ideen von ihm übernehmen und für das eigene Training nutzen." Scherbarth hat sich von Lavillenies Training während eines Trainingslagers Anfang Januar überzeugen können. Dabei sei ihm der Welt-Leichtathlet des Jahres mit einer großen Aufgeschlossenheit begegnet. "Die ist nicht selbstverständlich. Es gibt genügend Top-Sportler, die sich abschotten und ihre Geheimnisse für sich behalten." Was man von Lavillenie lernen kann, der mit seinen 6,16 Metern in der Halle in einer anderen Welt zu springen scheint? "Den Willen und die Leidenschaft, mit der er seinen Sport ausübt." Lavillenie habe sicher nicht die besten körperlichen Voraussetzungen, er ist "kleiner und leichter als Ex-Weltrekordler Bubka und springt trotzdem die harten Stäbe". Er demonstriere eindrucksvoll, was man mit der richtigen Einstellung erreichen kann. "Er will unbedingt gewinnen. Das hat nicht jeder - aber dann kommt man eben auch nicht ganz nach oben." Den nötigen Willen musste sich Scherbarth im Verlauf seiner Karriere auch einige Male abverlangen, als es darum ging, Rückschläge zu verkraften. Überraschend unaufgeregt und selbstreflektierend spricht er über seine schweren Fußverletzungen in den Jahren 2009 und 2010, die ihn zurückwarfen - gerade, als er für Höhen von 5,76 Metern in der Halle und 5,70 Meter im Freien mit einem Startplatz für die WM in Berlin belohnt wurde. "Nach meinem ersten Bruch hatte ich mir vorgenommen, 2012 wieder auf zwei gesunden Füßen zu stehen. Dass ich mir dann noch ein zweites Mal den Fuß breche, war schon heftig."

Wenn Scherbarth zurückblickt, dann ist er weit davon entfernt, mit dem Schicksal zu hadern. "Mein Trainer hat mir verinnerlicht, dass der Sport immer die schönste Nebensache der Welt bleiben muss. Warum soll ich mir also zu viele Gedanken darüber machen, was alles passieren kann, und verkrampft in Wettkämpfe gehen?", stellt Scherbarth die Gegenfrage. "Ich liebe das Springen, die Reisen, die Wettkämpfe. Und so lange ich sportlich keine Rückschritte hinnehmen muss, die sich nicht erklären lassen, werde ich auch nicht aufhören."

Stabhochsprung sei seine Welt, sagt er. Irgendwann wolle er sechs Meter springen und internationale Medaillen sammeln. Scherbarth vermittelt den Eindruck, als habe er einen für ihn richtigen Weg gefunden, auch wenn er damit nicht sagen will, dass nur er alles richtig mache. "Es gehört ein Stück weit zur deutschen Mentalität, dass man immer Angst hat, zu wenig zu trainieren. Ich für meine Person habe gelernt, dass weniger mehr ist und setze mehr auf Qualität."

Was damit möglich ist, wird man am Wochenende in Prag sehen. Schon die Qualifikation, die am Freitagmorgen um 10 Uhr beginnt, hat es in sich. So sieht es auch sein Trainer Leszek Klima: "Wahrscheinlich ist die Quali der eigentliche Wettkampf. Es wird nicht einfach, ins Finale zu kommen. Nach der Meldeliste ist Tobias Neunter."

5,60 Meter könnten reichen, meint Klima. Scherbarth selbst rechnet mit Höhen jenseits der 5,70 Meter. Von daher wird er alles abrufen müssen. Wie im Übrigen auch sein Vereinskollege Carlo Paech, der in Prag ebenfalls am Start ist.

Die Wettkämpfe in Prag werden im deutschen Fernsehen nicht live zu sehen sein - wie in dieser Saison bisher kein Hallen-Wettkampf. "Draußen geht es uns zum Glück besser", entgegnet Scherbarth. "Aber das ist das Traurigste an unserer Sportart, dass sie so selten im Fernsehen zu sehen ist. Ich vermisse da ein wenig die Wertschätzung. Meines Erachtens darf man eine Hallen-EM, bei der Weltrekordler starten, nicht außer Acht lassen. Wie sollen kleine Kinder Lust auf Leichtathletik bekommen, wenn sie die Sportart nicht sehen können."

(RP)
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