Deaflympics 2022 Ein Leverkusener für die Nationalmannschaft

Leverkusen · Kreisliga-Fußballer Marcel Rekus vom SV Bergfried Leverkusen hat sich mit der Teilnahme an den Sommerspielen der Gehörlosen in Brasilien einen Traum erfüllt.

 Regulär schnürt Marcel Rekus die Fußballschuhe für den Kreisligisten SV Bergfried.

Regulär schnürt Marcel Rekus die Fußballschuhe für den Kreisligisten SV Bergfried.

Foto: Schneid&Kleinert/DGSV e.V.

Jeder Fußballer träumt davon, einmal für die Nationalmannschaft bei einem großen Turnier auflaufen zu dürfen. Für Marcel Rekus ging dieser Traum nun über Umwege in Erfüllung. Der gebürtige Leverkusener hat an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit und kann seine Mitmenschen nur mithilfe von Hörgeräten verstehen. Jetzt war er Teil des deutschen Teams bei den Deaflympics 2022 in Brasilien.

Als der 25-Jährige im Sommer 2017 zum Gehörlosenfußball fand, ahnte er noch nicht, was fünf Jahre später auf ihn zukommen sollte. „Ich bin eigentlich recht zufällig auf den Gehörlosenfußball gestoßen. Damals hat mich eine Kindergartenfreundin gefragt, ob ich nicht Interesse daran hätte, beim GTSV Essen zu spielen. Daraufhin habe ich mich bei den Verantwortlichen gemeldet und es hat sofort super gepasst“, sagt Rekus.

 Marcel Rekus (Nr. 15) im Spiel gegen den Senegal.

Marcel Rekus (Nr. 15) im Spiel gegen den Senegal.

Foto: Schneid&Kleinert/DGSV e.V.

Was folgte, ist eine rasante Erfolgsgeschichte. Der Leverkusener, der eigentlich in der Kreisliga A beim SV Bergfried spielt, holte mit seinem neuen Team bereits in der ersten Saison die Deutsche Meisterschaft. 2018 nahm die Mannschaft in Mailand an der „Deaf Champions League“ teil. Die starken Auftritte des Verteidigers blieben nicht unbemerkt: Im April 2019 wurde Rekus das erste Mal in die Deutsche Gehörlosen-Nationalmannschaft berufen. Die Europameisterschaft im selben Jahr verpasste der städtische Beamte allerdings, da seine Bachelorarbeit Vorrang hatte. In der Folgezeit warfen Corona und einige Verletzungen Rekus zurück. Die Teilnahme an den Sommerspielen der Gehörlosensportler in Brasilien schien in weite Ferne gerückt.

Mitte März bekam der 25-Jährige dann aber einen ebenso unerwarteten wie erfreulichen Anruf. „Der Co-Trainer meldete sich zwei Tage vor dem ersten Trainingslager für die Sommerspiele bei mir und fragte, ob ich zur Verfügung stünde. Ich war natürlich positiv überrascht und antwortete: ‚Ja klar, ich bin dabei‘“, erzählt Rekus. Im Trainingslager nutzte der Abwehrspieler seine Chance und machte auf sich aufmerksam. Als Belohnung für die guten Leistungen wurde der Bergfrieder zum zweiten und finalen Lehrgang vor dem Turnier eingeladen. Dort erfuhr der Defensivspezialist dann von seiner Nominierung für die Deaflympics. „Ich habe es im ersten Moment gar nicht realisieren können. Ich hatte – da ich so spät nominiert wurde – nicht mehr wirklich damit gerechnet und war daher umso glücklicher, dass sich die ganze Arbeit ausgezahlt hatte.“

Wenige Tage darauf stieg der Leverkusener gemeinsam mit seinen Teamkollegen in das Flugzeug nach Brasilien. Das gesamte deutsche Deaflympics-Team wurde in einem Hotel in der Großstadt Caxias do Sul, die in der Nähe von Porto Alegre liegt, untergebracht. „Es war eine wirklich tolle Erfahrung vor Ort. Die Menschen waren total gastfreundlich und wir haben uns alle, auch wenn es natürlich genügend Sprachbarrieren gab, super verstanden“, betont Rekus.

Das Großereignis fand vom 30. April bis 15. Mai statt. Deutschland setzte sich als Gruppenzweiter hinter der Türkei durch und traf im Viertelfinale auf den Senegal, wo das Team mit 4:3 nach Verlängerung triumphierte. Im Halbfinale scheiterte Schwarz-Rot-Gold denkbar knapp an Frankreich und unterlag 2:3. Im Spiel um Bronze verloren die Deutschen im Elfmeterschießen gegen die Türkei, weshalb sie die Heimreise ohne Medaille um den Hals antreten mussten. „Wir sind leider sehr unglücklich ausgeschieden. Es ist immer noch sehr schmerzhaft, da wir uns gegen die Franzosen selbst ein Bein gestellt haben“, sagt Rekus.

 Die deutsche Gehörlosennationalelf mit Marcel Rekus (untere Reihe rechts) bei den Deaflympics 2022 in Brasilien.

Die deutsche Gehörlosennationalelf mit Marcel Rekus (untere Reihe rechts) bei den Deaflympics 2022 in Brasilien.

Foto: Schneid&Kleinert/DGSV e.V.

Der Bergfrieder kam beim 5:0 (2:0) gegen Mali zu seinem ersten Einsatz, als er in der 60. Minute eingewechselt wurde. In der letzten Begegnung der Gruppenphase gegen den Irak stand er erstmals in der Startelf und über die vollen 90 Minuten auf dem Rasen. „Dieses Gefühl, das erste mal auf dem Platz zu stehen und die Nationalhymne zu hören, kann mir keiner mehr nehmen. Das war das Highlight meiner bisherigen Karriere und macht mich sehr stolz.“

In Deutschland bekam das Großereignis indes nur wenig Aufmerksamkeit. Auch die finanzielle Unterstützung könnte besser sein. „In den letzten Jahren hat sich dort schon einiges verändert“, berichtet Rekus, der Anfang Juni gemeinsam mit den anderen Spielern aus Nordrhein-Westfalen von der Sporthilfe NRW geehrt wurde. Ein Blick auf den Medaillenspiegel zeigt jedoch den großen Vorsprung anderer Nationen. „Die Ukraine und die Türkei sind uns beispielsweise weit voraus. Das liegt daran, dass Gehörlosensport dort so vom Staat finanziert wird, dass er hauptberuflich ausgeübt werden kann“, sagt der Verteidiger. „Dadurch hatten die Türken die Möglichkeit, drei Monate ins Trainingslager zu fahren, während wir insgesamt gerade einmal zehn Tage gemeinsame Vorbereitung hatten.“ Das größte Entwicklungspotenzial sieht Rekus in der medialen Präsenz. „Wenn mehr über uns berichtet wird, zieht das automatisch Sponsoren an und vergrößert damit die Finanzkraft für weitere Dinge – wie zum Beispiel besser ausgestattete Medienteams.“

Als nächstes steht für Rekus und die deutsche Gehörlosen-Nationalmannschaft die Weltmeisterschaft 2023 in Südkorea an. Der Defensivallrounder will dort nicht nur dabei sein, sondern auch eine tragende Rolle im Team einnehmen. „Ich möchte Gold holen und einen großen Anteil daran haben.“

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