Leichtathletik "Ich setze mich nicht mehr unter Druck"

Leverkusen · Die Leverkusener Stabhochspringerin über die Lehre aus vierten Plätzen, ihren Saisonstart in Shanghai und Kritik an der Sportförderung.

Sie haben die Hallensaison ausgelassen, um in Ihrem Studium der Gesundheitsökonomie einen — ich zitieren Ihren Manager Marc Osenberg — "großen Schritt Richtung Abschluss" zu machen. Wie groß war der Schritt denn nun?

Spiegelburg (lacht) Ich hätte gerne noch einen größeren Schritt gemacht, aber ich musste mich auch erst einmal wieder ins Studium reinfinden. Weil ich ja auf Diplom studiere und dieser Studienabschluss demnächst wegfällt, muss ich bis 2015 fertig werden. Das setzt mich schon unter Druck, weil ich einerseits relativ weit bin, ich aber andererseits wegen der zeitlichen Belastung durch den Sport nicht weiß, ob ich letztlich alles rechtzeitig fertig bekomme. Die Frist fällt halt mitten in die Olympiavorbereitung.

War das Training in der Klausurphase zusätzlicher Stress oder willkommene Abwechslung?

Spiegelburg Beides irgendwie. Ich habe natürlich das Training reduzieren müssen, zwei Einheiten täglich waren einfach nicht drin. Die Doppelbelastung hat schon geschlaucht. Nach der letzten Klausur war ich so müde, dass ich erst einmal zwei Wochen Auszeit von Uni und Sport genommen habe. Danach wieder mehrere Einheiten am Tag zu haben, war allerdings auch ziemlich anstrengend.

Fiel der Verzicht auf die Hallenwettkämpfe schwer?

Spiegelburg Am Anfang gar nicht. Da habe ich die Zuschauerrolle durchaus genossen. Aber irgendwann hatte ich dann doch auch wieder Lust, selbst zu springen.

Wie groß ist die Lust auf eine Medaille bei der WM in Moskau?

Spiegelburg Nach dem vergangenen Jahr habe ich mir einfach gesagt, ich gebe nur bekannt, dass ich Bestleistung springen will. Alles andere kommt von alleine. Ich setze mich nicht mehr unter Druck, dass ich bei der WM unbedingt eine Medaille gewinnen muss.

Woher rührt diese mentale Umstellung?

spiegelburg Ich sage mir mittlerweile, eine Medaille wäre das absolute i-Tüpfelchen, ein Bonus halt. Ich habe das in meiner Junioren-Zeit so gehandhabt, und damit habe ich damals viele internationale Medaillen geholt. 2012 hatte ich viel Pech, bei der Hallen-WM wie auch bei Olympia. Aber ich habe es abgehakt, und mir an Silvester geschworen, ich werde dazu auch keine weiteren Fragen beantworten . . .

. . . dann kann ich diese Frage ja streichen . . .

Spiegelburg . . . richtig. Ich will einfach nur sehr, sehr viel Spaß bei bei den Wettkämpfen haben. Dafür war die Auszeit gut, weil jetzt der Spaßfaktor und die Vorfreude auf die Wettkämpfe wieder viel größer sind.

Muss man als Leistungssportler aufpassen, dass der Druck den Spaß am Sport nicht erstickt?

spiegelburg Meine Trainer, meine Physiotherapeuten, alle haben mir gesagt: "Hey, es kommt immer noch vor allem auf den Spaß an. Wenn du keinen Spaß hast, bringt es alles nichts." Das ist das, was man vielleicht wieder neu lernen muss, wenn man ganz oben in der Weltspitze angekommen ist. Die Lockerheit zu finden, ist nicht einfach. Da habe ich meinem Umfeld wirklich viel zu verdanken, dass es mich dort wieder hingeführt hab.

Entscheidet in der Weltspitze am Ende nur das mentale Leistungsvermögen über den Sieg?

Spiegelburg Ja. Das Mentale entscheidet im Hochleistungssport, wer an diesem Tag gewinnt. Wie stark man mental ist, ist dabei typbedingt, und es hängt vom Umfeld des Athleten ab. Mich hat eigentlich immer ausgezeichnet, dass ich vom Kopf her sehr stabil bin.

Wie groß war im Vorjahr die Genugtuung, als der deutsche Rekord mit 4,82 Metern endlich geknackt war?

spiegelburg Naja, ich habe ja lange genug dafür gebraucht. Es ging mir letztlich aber weniger um diesen deutschen Rekord — das wurde eher von außen hineingetragen —, als darum, endlich einmal diese blöden 4,80 Meter zu überspringen. Ich hoffe, dieser Knoten ist jetzt dauerhaft geplatzt.

Der Weltrekord liegt bei 5,06 Metern. Wo liegt er in zehn Jahren?

spiegelburg Ich glaube, um die 5,10 Meter wird er bestimmt liegen. Da muss aber auch von den Bedingungen her alles passen. Bei den Männern bleiben sechs Meter ja auch die magische Marke. Ich denke, dieser Meter Differenz zwischen den Frauen und den Männern wird auch künftig Bestand haben.

Zeigt das Beispiel Björn Otto, wie sehr eine olympische Medaille den Stellenwert eines Athleten in die Höhe schrauben kann?

spiegelburg Ja, das ist so. Man merkt schon, dass eine Medaille bei Olympia viel, viel mehr wert ist als eine WM-Medaille. Damit bleibt man viel länger im Gespräch. Ich bin halt in London um einen Platz an einer Medaille vorbeigeschrammt. In Deutschland fallen leider alle ohne Medaille in der Wahrnehmung hintern rüber. Das finde ich schade, vor allem, weil es auch unmittelbar die Förderung betrifft. Wer bis Mitte 20 eine internationale Medaille gewonnen hat, wird weiterhin sehr gut gefördert, wer keine vorweisen kann, wird in der Förderung heruntergestuft. Ich will nicht wissen, wie viele solcher Athleten dann zwangsweise ihr Studium oder einen Beruf vorziehen, weil das Geld im Leistungssport nicht ausreicht.

Gutes Geld zu verdienen gibt es in der Diamond League. Die haben sie in den vergangenen beiden Jahren gewonnen. Starten Sie am Wochenende zum Auftakt in Shanghai den Angriff aufs Triple?

Spiegelburg Natürlich liegt der Fokus erst einmal auf der WM. Für die habe ich ja durch den Sieg bei der Diamond League im Vorjahr eine Wildcard bekommen, was sehr entspannt ist. Insofern hat die Diamond League auch in diesem Jahr wieder ihren Reiz. Allein, weil es super Wettkämpfe auf internationaler Ebene sind und man die anderen Athleten im Detail kennenlernen kann.

Wie ordnen Sie die Diamond League zwischen WM und Olympia ein?

spiegelburg Ich weiß für mich selbst, dass sie viel wert ist, weil sie eine Art Weltcup ist. Hier stellt sich heraus, wer im gesamten Jahr am besten war. Ich sagen den Leuten auch immer: "Das ist der Weltcup, es heißt nur Diamond League." Der Name ist vielleicht noch ein bisschen sperrig, und vielleicht könnte man das Punktesystem noch optimieren, aber man merkt allgemein, dass die Veranstaltungen von Jahr zu Jahr wichtiger werden.

Kreist Rio 2016 schon irgendwelche Runden in Ihrem Kopf ?

spiegelburg (lacht) Zurzeit bin ich nicht abgeneigt. Vom Alter würde es passen, und es wäre auf jeden Fall noch einmal ein schönes Ziel. Und ob ich danach weiter mache, kann ich ja immer noch entscheiden.

STEFAN KLÜTTERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP/rl)
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