Analyse Fall Rehm setzt Leichtathletik unter Druck

Leverkusen · Mit seinem Sieg gegen nicht-behinderte Weitspringer hat der Leverkusener Paralympics-Gewinner Markus Rehm einen Präzedenzfall geschaffen, der die deutsche Leichtathletik förmlich dazu zwingt, so konkret wie nie über die Frage der Inklusion im Leistungssport zu diskutieren.

Wenn es einen Impuls brauchte, um den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) dazu zu veranlassen, einmal ganz konkret darüber nachzudenken, ob sich die Integration behinderter Sportler in den nicht-behinderten Leistungssport bewerkstelligen lässt, haben zwei Männer diesen am Wochenende in Leverkusen gegeben: Paralympics-Gewinner Markus Rehm, der bei den Nordrhein-Meisterschaften der Nicht-Behinderten in der Jakobi-Halle den Weitsprung gewann, genauso aber auch Wettkampfleiter Marc Lagrave, der letztlich entschied, dass die Leistung des Behindertensportlers Eingang in die offizielle Wertung fand. Damit ist nun ein Präzedenzfall geschaffen, der dazu taugt, die inzwischen jahrelange Umschiffung des Themas Inklusion im Spitzensport in die Richtung konkreter Entscheidungen zu drängen.

DLV-Präsident Clemens Prokop kündigte als Konsequenz aus dem Fall Rehm an, mittels eines wissenschaftlichen Gutachtens prüfen lassen zu wollen, "ob die Prothesen von Markus Rehm ein unerlaubtes Hilfsmittel sind, mit dem ein Vorteil bei Wettbewerben mit Nichtbehinderten erzielt werden kann". Für viele Beobachter kommt dieser Entschluss zu spät — und das ohne Not. Weitspringer Rehm ist auf Sicht ohnehin der Einzige in Deutschland, der es vom Leistungsvermögen her mit seinen nicht-behinderten Konkurrenten aufnehmen kann und will und für den die Norm für die Deutschen Meisterschaften in Reichweite liegt.

Der DLV hätte demnach schon im Anschluss an Rehms Paralympics-Sieg von London 2012 zumindest per Einzelfallentscheidung den Daumen über ihn heben und senken können, was die Wertung seiner Leistungen in Wettkämpfen Nicht-Behinderter angeht. Stattdessen besitzt nach wie vor ein Passus im Regelwerk Gültigkeit, der besagt, dass es letztlich der persönlichen Interpretation ehrenamtlich tätiger Schiedsrichter und Wettkampfleiter überlassen ist, Rehms Prothesen als Vorteil einzustufen oder eben nicht — ein Urteil, das selbst für Biomechaniker ein diffiziles ist.

Es ist beileibe keine einfache Grundsatzentscheidung, die der DLV — und in letzter Konsequenz wohl irgendwann auch der DOSB — auf nationaler Ebene treffen muss, aber, dass man eine treffen muss, wird nach Rehms Sieg von Leverkusen immer deutlicher. Denn die Frage der Inklusion im Leistungssport beinhaltet auch den Nachwuchssport. Gemischte Trainingsgruppen und Integrative Sportfeste wie beim TSV Bayer 04 gelten als leuchtende Beispiele für Inklusion, da ist es logisch, dass sich aus der Mitte der Sportler die Forderung aufdrängt, für das sportliche Miteinander bitte auch im Wettkampfbereich eine einheitliche Regelung zu finden.

"Wenn, dann muss das Thema jetzt einmal generell angegangen werden", findet deswegen auch Jörg Frischmann, Geschäftsführer der Behindertensportabteilung im TSV Bayer 04. Den Zustand, dass ein Behindertensportler vor einem Wettkampf mit Nicht-Behinderten nicht wisse, ob er am Ende gewertet wird, außerhalb der Wertung läuft oder gar disqualifiziert wird, findet er jedenfalls untragbar.

(RP)
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