Leichtathletik Der DJ aus der Sprunggrube

Armin Baumert (67) ist einer der renommiertesten deutschen Sportfunktionäre. Von 1961 bis 1971 trug er als Leichtathlet das Trikot von Bayer 04.Im RP-Gespräch erlaubt Baumert private Einblicke in seine Leverkusener Zeit – eine Sportler-Biographie als gelebte Vereinsgeschichte.

Armin Baumert hatte schon am Telefon mit offenen Karten gespielt. "Wenn Sie vorbeikommen, junger Mann, dann bringen Sie Zeit mit. Ich habe einiges zu erzählen." Eine Woche später sitzen wir im kleinen Innenhof des Hauses in der Bonner Heussalle 38. Hier hat die Nada ihre Zentrale. Die Nationale Anti-Doping-Agentur, deren Vorsitzender Baumert in den vergangenen vier Jahren war. Baumert mag diesen Innenhof. Hier haben sie ihn Anfang 2007 förmlich bekniet, die Führung der Nada zu übernehmen. "Dort auf den Stufen saß ich", sagt Baumert. Heute sitzt er auf der leicht verblichenen Holzbank gegenüber. Die Sonne fällt genau ins Karree. Baumert ist die 75 Kilometer hergefahren aus Gamlen, einer 500-Seelen-Gemeinde an der Mosel. Hier wohnt der 67-Jährige mit Ehefrau Andrea und Tochter Lara. Lara wird demnächst neun, und Baumert will sie später von der Schule abholen. Aber vorher will er erzählen. Über seine Jahre im Trikot von Bayer 04 Leverkusen.

Im April 1961 steht Baumert am Bahnhof Wiesdorf. Mit einem Koffer und einem Campingbeutel. Er rieche auch 50 Jahre später immer noch die titangeschwängerte Luft, sagt Baumert. Er ist mit dem Zug aus Minden gekommen. Dorthin war seine Familie nach dem Krieg aus Schlesien geflüchtet. "Ich war damals der erste Jugendliche, der zu Bayer gewechselt ist." Zehnkämpfer Willi Holdorf war ein Jahr zuvor aus Glückstadt hierher gewechselt, aber der war kein Jugendlicher mehr. Abgeholt hat Baumert 1961 in Wiesdorf übrigens niemand. Untergebracht hat ihn der Verein zunächst im Paul-Gerhardt-Haus. "Bullenkloster" nannte er diese Bleibe. Noch heute muss Baumert bei dem Begriff lächeln.

Friedel Schirmer hatte den talentierten Weitspringer Baumert bei Bundesjugendspielen entdeckt. Als der Leverkusener Trainer schließlich bei den Eltern wegen eines Wechsels vorspricht, sagt der Vater schnell ja. Der Sohn müsse sowieso raus aus dem Haus. Und das Angebot, neben dem Sport im Bayer-Werk eine Lehre absolvieren zu können, klingt gut. Und die Mutter? "Was sollte sie schon sagen? Sie hat geweint und zugestimmt."

In der Leverkusener Trainingsgruppe begegnet Baumert einem Mann, den er noch heute als "Ersatzvater" bezeichnet: Jugendtrainer Rolf Bäslack. "Meine Eltern hatten Vertrauen zu ihm. Und ich hatte es auch." Bäslack holt Baumert und andere Schützlinge aus dem "Bullenkloster" und bringt sie in zwei Stuben über einer Bäckerei in der Breidenbachstraße unter. Die Kohlebriketts, die ihnen die Bäckersfrau vor die Tür legt, deponieren die jungen Männer im Schrank unter der dreckigen Wäsche. Der Ofen wird nur befeuert, wenn es richtig kalt ist. "Unter diesen Voraussetzungen ist Willi Holdorf Olympiasieger geworden", sagt Baumert.

Sein Start bei Bayer verläuft ebenfalls erfolgreich: Er wird auf Anhieb Deutscher Jugend-Mannschaftsmeister. Zwischen den Einheiten mit Trainerlegende Bert Sumser und den Wettkämpfen am Wochenende füllt die Ausbildung zum Chemielaboranten bei "Mutter Bayer" Baumerts Alltag. "Doch das war überhaupt nicht meine Welt", sagt er. Also absolviert er ohne das Wissen seiner Eltern 1964 den Aufnahmetest an der Kölner Sporthochschule und darf schließlich ohne Abitur und nach zwei Probesemestern ins Vollstudium einsteigen. "Damals habe ich gelernt, dass ich eigene Entscheidungen treffen und auch durchziehen muss." Eine Maxime, der er bis heute treu geblieben ist.

Im selben Jahr verpasst Baumert die Olympia-Teilnahme in Tokio um vier Zentimeter. Aus seiner damaligen Sicht kein Drama. Schließlich kommt er wegen der Vorausscheidung um den Wehrdienst herum. Und Baumerts Zeit soll ja noch kommen. Zwei Jahre später scheint sie da, als er mit 7,72 Metern in Kiel Deutscher Hallenmeister und mit 7,79 Meter Zweiter bei den Europäischen Hallenspielen in Dortmund wird. Als Belohnung gibt es vom Verein Einkaufsgutscheine fürs Bayer-Kaufhaus im Wert von 100 Mark. "Das war viel Geld", sagt Baumert.

Die Freiluft-EM in Budapest 1966 ist zu dieser Zeit sein großes Ziel. Es scheint zum Greifen nah, doch Baumert wird die Titelkämpfe verpassen. Im Uni-Sport hat ihm ein Kommilitone den Hockeyschläger vors linke Sprungbein geschlagen. Baumert hat Schmerzen, ignoriert sie aber. Er trainiert, kommt aber nicht an frühere Weiten heran. Er stellt auf rechts als Sprungbein um, doch da hat er den Anschluss an die internationale Spitze längst verloren. Als er irgendwann schließlich doch zum Arzt geht, stellt sich heraus, dass er ein halbes Jahr mit angebrochenem Schienbein gelebt hat.

Leistungssport bei Bayer in den 60ern schließt Athleten nicht vom gesellschaftlichen Treiben Gleichaltriger aus. Zumindest lassen sich Baumert und Co. nicht ausschließen. An den Wochenenden fährt man gemeinsam zum Tanzbrunnen nach Köln-Deutz. "Da waren die Mädels", sagt Baumert und muss grinsen. Er selbst entdeckt in dieser Zeit bei sich ausgeprägtes Musikgespür. Ehe er sich versieht, legt er vier Jahre lang am Wochenende in der Wiesdorfer "City Bar" die Musik auf. Beatles, Rolling Stones, Percy Sledge – noch heute besitzt er eine umfangreiche Plattensammlung. "Als Lohn gab es damals kein Geld, sondern jeweils ein Stück Filet", erzählt Baumert.

1971 endet Baumerts Zeit in Leverkusen. Es ist das Jahr, in dem er sein Examen als Diplom-Sportlehrer macht und seinen Dienst an einem Gymnasium in Mayen (nahe seinem heutigen Wohnort) antritt. Es ist aber auch das Jahr, in dem bei einem Autounfall Baumerts Freundin und eine weitere Frau ums Leben kommen. Baumert sitzt damals am Steuer. "Noch heute denke ich oft daran." Die Tragödie sei Teil seines Lebens, aber sie habe ihn nicht aus der Bahn geworfen. Baumert lebte weiter. Ein Leben mit vielen Facetten, Stationen und Geschichten (siehe Zweittext). Die Jahre in Leverkusen möchte er dabei nicht missen. "Leverkusen ist bis heute eine hervorragende Adresse des deutschen Sports." Es ist so etwas wie das Schlusswort. Dann steht Baumert auf. Er guckt auf die Uhr. Es ist spät geworden. Er muss gleich wieder los. Zurück nach Gamlen. Zur Schule, an der Lara wartet.

(RP)
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