Jörg Frischmann "Auch Behinderte wollen Grenzen austesten"
Leverkusen · Die Behindertensportabteilung des TSV Bayer 04 Leverkusen organisiert heute Nachmittag ihr 4. Integratives Leichtathletik-Sportfest.
Leverkusen Seit 1998 ist Jörg Frischmann Geschäftsführer der Behindertensportabteilung des TSV Bayer 04. Der 50-Jährige hat das Integrative Leichtathletik-Sportfest des Vereins mit aus der Taufe gehoben. Im Interview spricht er über den Ehrgeiz der Athleten, die besonderen Rahmenbedingungen in Leverkusen und wie enorm wichtig der Sport für Menschen mit Handicap sein kann.
Welche Erwartungen knüpfen Sie an das Integrative Sportfest?
Jörg Frischmann Wir wollen für die Sportler eine attraktive Atmosphäre und optimale Rahmenbedingungen für die Wettkämpfe schaffen. Die Athleten sollen sich in Leverkusen wohlfühlen und gleichzeitig zu Topleistungen animiert werden. Wir erwarten etwa 110 Teilnehmer, es könnten aber durchaus auch 150 werden, darunter auch internationale Spitzensportler.
Auf wen kann sich das Publikum freuen?
Frischmann Neben unseren eigenen Topathleten wie dem Weitspringer Markus Rehm, dem 200-Meter-Läufer Felix Streng und dem 400-Meter-Läufer David Behre sind auch Spitzensportler aus aller Welt zu Gast. An den Start gehen werden Aktive aus Deutschland, Großbritannien, Australien, Kanada und der Türkei, möglicherweise kommen noch einige Italiener hinzu. Einen Besuch lohnt allein schon das Aufgebot über 100 Meter, da trifft sich die Weltelite. Die Briten Richard Whitehead und Rhys Jones kommen ebenso nach Leverkusen wie der Kanadier Earle Connor und der Australier Scott Reardon. Ein Wermutstropfen ist die Verletzung unseres Spitzenmannes Heinrich Popow.
Wieso ist Leverkusen ein so gutes Pflaster für Rekorde?
Frischmann Wir sind bemüht, für die Teilnehmer optimale Bedingungen zu kreieren. Das bedeutet, bei uns stehen Zeitmesser in beiden Richtungen, so dass wir kurz vor den Starts festlegen können, in welcher Laufrichtung die Athleten Rückenwind haben. In den Laufwettbewerben treten Teilnehmer mit ähnlichen Leistungen gegeneinander an. Der besondere Reiz des Sportfestes und der Grund, warum es das Prädikat "integrativ" trägt, ist die Tatsache, dass die behinderten Sportler im Wettkampf auch auf Menschen ohne Handicap treffen.
Ist es schwierig, eine Großveranstaltung wie das Integrative Sportfest zu organisieren?
Frischmann Ich will es mal so sagen: Es wird immer schwieriger. Wir blicken in eine ungewisse Zukunft. Das Internationale Paralympische Comitee (IPC) hat vor einiger Zeit einen Grand-Prix mit zunächst sechs Sportfesten aus der Taufe gehoben, bei denen teilweise die Reisekosten der Sportler übernommen werden. Beim Finale werden sogar Prämien gezahlt. Da überlegen sich die Sportler natürlich zweimal, wo sich ein Start lohnt. Dennoch begrüßt unser Verein den Vorstoß mit dem Grand-Prix, rückt er den Behindertensport doch mehr ins Licht der Öffentlichkeit.
Wieso wird das Integrative Sportfest von Bayer 04 nicht einfach Teil des Grand Prix?
Frischmann Vor allem deshalb, weil das IPC gewisse Rahmenbedingungen fordert, die mit hohen Kosten für den Veranstalter verbunden sind. Bei uns müssen die Athleten sogar den Flug und das Hotel selbst bezahlen. Wir streben eher kleine Lösungen an, zum Beispiel eine Sogwirkung: Vielleicht werden wir zukünftig gewisse Kosten für einen einzelnen Spitzensportler übernehmen, um damit den Wettkampf für andere attraktiv zu machen. Dafür bedarf es allerdings zusätzlicher Sponsoren.
Welchen Stellenwert haben die Leistungen der Sportler?
Frischmann Bei unserem Wettkampf ist es nicht ganz so entscheidend, wer Erster, Zweiter und Dritter wird. Die Leistungen an sich sind interessant, also auch, ob jemandem mit seiner Zeit, Weite oder Höhe die Qualifikation für nationale oder internationale Wettbewerbe gelingt. Deshalb liegt der Termin immer kurz vor Ablauf des Qualifikationszeitraums.
An den Start gehen neben Männern und Frauen auch behinderte Nachwuchssportler. Warum ist das etwas Besonderes?
Frischmann Unsere Nachwuchsarbeit beim Integrativen Sportfest würde ich als einzigartig in Europa, vielleicht sogar weltweit beschreiben. Im Gegensatz zu anderen Wettkämpfen sind die Junioren bei uns nicht von ihren Vorbildern getrennt, sondern treten zum Teil sogar gegen sie an. Das ist natürlich eine ganz andere Atmosphäre und Motivation für die Jugendlichen. Philipp Wassenberg zum Beispiel war vor sechs, sieben Jahren noch ein Schützling von Heinrich Popow. Inzwischen hat er wiederum Hannah Tempel unter seine Fittiche genommen.
Warum ist der Sport für viele behinderte Menschen so wichtig?
Frischmann Wir versuchen, Menschen, die gerade frisch amputiert worden sind, so früh wie möglich an den Sport heranzuführen. Hier können sie Kontakte knüpfen, über ihre Schmerzen sprechen, alltägliche Fragen loswerden und erfahren Unterstützung durch unsere Athleten. Es zeigt sich meist, dass die Einschränkungen gar nicht so erheblich sind. Der Sport zeigt diesen Menschen, dass es ein "Leben danach" gibt. Oft wird dann deutlich, wie viel Ehrgeiz Behinderte besitzen. Sie gehen zwar bewusster mit ihrem Körper um, aber auch sie wollen Grenzen austesten.
DANIEL OELBRACHT. STELLTE DIE FRAGEN.