„Seawatch“-Mitglied aus Leverkusen „Flucht ist kein Verbrechen“

Leverkusen · Der gebürtige Leverkusener Nick Jaussi engagiert sich beim Verein „Seawatch“. Über seine Arbeit berichtete er jetzt in einem Vortrag.

 Nick Jaussi ist Field Media Coordinator bei „Seawatch“ und war bisher bei drei Einsätzen im Mittelmeer dabei.

Nick Jaussi ist Field Media Coordinator bei „Seawatch“ und war bisher bei drei Einsätzen im Mittelmeer dabei.

Foto: Matzerath, Ralph (rm-)

Ungerechtigkeit konnte er noch nie ausblenden. In Lethargie verfallen wollte er erst gar nicht. Auch deshalb entschied sich Nick Jaussi dafür, Flüchtlinge im Mittelmeer zu retten. Nach langer Zeit verschlug es den Fotojournalisten am Tag der Menschenrechte zurück in seine Geburtsstadt. Die Beziehungen nach Leverkusen sind immer noch da, schließlich wohnen seine Eltern im angrenzenden Schildgen. Deshalb freut sich Jaussi auch besonders über die Einladung in das Familienseminar der Arbeiterwohlfahrt (Awo).

Nick Jaussi, Field Media Coordinator beim Verein „Seawatch“,  sprach über das, was der Verein tut: die Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Auch für Jaussi war es ein besonderer Abend, schließlich kehrte er in seine Heimat zurück.  Der 31-Jährige, der 2007 sein Abitur am Lise-Meitner-Gymnasium absolvierte, berichtete unter anderem über die Missionen, bei denen er dabei war. Der Fotojournalist zeigte dem Publikum selbst gemachte eindrucksvolle Fotos und Videos von den Rettungsmissionen. Jaussi war bereits dreimal mit „Seawatch“ unterwegs. Für ihn ist das Sterben im Mittelmeer „eine der größten Tragödien der menschlichen Geschichte“. Auch deshalb wollte er etwas dagegen tun.

Zu „Seawatch“ kam Nick Jaussi über einen guten Freund, der die gemeinnützige Initiative mitgegründet hat. Sich endgültig zum Beitritt entschieden hat er sich 2017, weil er es wegen der sinkenden Aufmerksamkeit als notwendig ansah, selbst tätig zu werden. Seine erste Mission war im November 2017. Seine bisher letzte im August/September dieses Jahres. Jaussi berichtete davon, dass die „Seawatch“-Kräfte 13 Menschen von einem Holzboot retteten und dann zehn Tage auf dem Schiff warten mussten, um nach Malta zu kommen. Er erzählte von Personen, die sich selbst verletzten oder versuchten, von Bord zu springen. Von einem Mann, der einen anderen angriff und sich danach nicht mehr daran erinnern konnte. Und von einem „fatalen Signal“, weil diejenigen, die psychisch zusammengebrochen sind, nach Malta durften.

Jaussi berichtete auch über die Zustände in den Flüchtlingslagern in Libyen. Er fände keine Worte, um das Elend und die Aggressivität, die dort herrschten, zu beschreiben, sagte der Foto- und Multimediajournalist. Besserung? Sei nicht in Sicht, schätzt Jaussi die Situation ein, auch wenn die Anzahl der toten Flüchtlinge im Mittelmeer im Jahr 2019 gesunken sei. „Die Toten werden lediglich in die Sahara verlagert. Die Sahara ist deutlich tödlicher als das Mittelmeer“, merkte er an.

Der gebürtige Leverkusener fordert im Namen von „Seawatch“, das Massensterben zu beenden. „Lethargie ist absolut das Falsche“, betonte Jaussi. Im Gegenzug sei er fasziniert von allen Leuten, die engagiert sind. Dies trifft offenbar auch auf sein Publikum zu, weiß Jaussi. Unter den Zuhörern sind zahlreiche Ehrenamtler, die seine Meinung teilen und am Ende des Vortrags nochmal nachhaken. Das ist nicht immer so. Kaum ein Thema spaltet die Gesellschaft so sehr, wie die Seenotrettung im Mittelmeer. Kritiker bemängeln, dass es sich nicht um Rettung aus Seenot, sondern eher um die geplante Übernahme von Flüchtlingen handelt, um diese nach Europa zu bringen. Denen entgegnet Nick Jaussi: „Der beste Beweis dagegen ist, dass immer noch Leute sterben.“ Würde es eine Abmachung geben, würden diese Menschen nicht sterben, ist er sicher. „Seawatch“ durchschaue lediglich oft, wann Flüchtlinge losgeschickt werden könnten. Dennoch werden der Verein auch hin und wieder von Schlepperbooten überrascht. Einmal haben die Einsatzkräfte des Verein ein Boot vor Tunesien zufällig mit einem Fernglas entdeckt. Und: Seit fünf Jahren habe man Journalisten auf den Missionen dabei „und es hat bis heute keiner etwas Verdächtiges gefunden“. Dennoch gäben einige Leute „Seawatch“ eine Mitschuld am Sterben im Mittelmeer, weil sich viele Flüchtlinge bewusst in die Gefahr des Ertrinkens begeben in der Hoffnung darauf, gerettet und nach Europa gebracht zu werden. Jaussi findet, durch solche Aussagen werden  Flüchtlinge entmenschlicht. Sie ließen sich bewusst auf die Gefahr ein, weil sie keine Wahl haben. Viel lieber sollte sich die Gesellschaft der Frage beschäftigen, warum diese Menschen flüchten müssen.

 Nick Jaussi im Einsatz für Seawatch

Nick Jaussi im Einsatz für Seawatch

Foto: Johannes Moth

 Nach rund neunzig Minuten ging ein denkwürdiger Abend zu Ende. Glückskekse wurden verteilt. Auf den eingearbeiteten Zetteln steht: „Flucht ist kein Verbrechen!“. Ein Satz, der nach dem Abend in vielen Köpfen bleiben wird.

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