Bayer 04 Fan erinnert sich Gepäckwagen-Rennen nach dem Finalsieg in Berlin

Leverkusen · Pokalfinale – unser Autor ist Bayer-Fan von Jugend an und aus tiefer Überzeugung. Beim Finalsieg 1993 war er dabei und kennt auch die Bitternis des Scheiterns.

 Tobias Krell kennt den Verein seit seiner Jugendzeit, als die Nordkurve für ihn zum zweiten Zuhause wurde. Wie viele andere ist er in Berlin nicht dabei.

Tobias Krell kennt den Verein seit seiner Jugendzeit, als die Nordkurve für ihn zum zweiten Zuhause wurde. Wie viele andere ist er in Berlin nicht dabei.

Foto: Miserius, Uwe (umi)

Ich habe es wirklich versucht. Aber es ist schon wieder passiert. Dabei habe ich mir damals am 20. Mai 2000 gegen 17.30 Uhr hinter der kleinen Tribüne im Sportpark Unterhaching geschworen, nie wieder zuzulassen, dass diese Hoffnung von mir Besitz ergreift – ein Schwur, den ich schon zwei Jahre später brach und danach noch einige Male. Jedes Mal, wenn sich auch nur eine kleine Chance auf einen Titel bot, glaubte ich fest daran, dass es wieder so sein könnte wie 1988 oder 1993. Dieser Fehler –  habe ich mir eingeredet – könnte mir diesmal nicht passieren. Schließlich ist der Gegner der große FC Bayern, die letzten Leistungen der Werkself waren nicht besonders vielversprechend, und vor allem  wird es das erste Pokalfinale des Vereins sein, das ich nicht im Olympiastadion verfolge, sondern von der Couch. Das sind gute Gründe, mit dieser lästigen Angewohnheit zu brechen. Aber geholfen hat es nicht. Spätestens als die Redaktion mich bat, mich an meine Erlebnisse bei den drei bisherigen Pokalendspielen zu erinnern, war aller Widerstand gebrochen.

Was ich am Samstag fast noch mehr vermissen werde als das Stadionerlebnis selbst ist das ganze Drumherum in Berlin am Finaltag. Das hat mich schon 1993 begeistert. Damals war ich 16 und bin mit Freunden und dem Vater eines Freundes als unserem erwachsenen Begleiter mit dem Sonderzug in die Hauptstadt gefahren. Auf dem berühmten Ku‘damm sind wir von Lokal zu Lokal (weil der Vater des Freundes den Fehler gemacht hatte, uns in „jeder Kneipe ein Bier, aber nur eins“ ausgeben zu wollen). Und egal wo wir hinkamen, wimmelte es nur so von Fans. Bayer-Fans natürlich (gerade rund um den Bahnhof Zoo, wo der Zug gehalten hatte), vor allem aber Herthaner – und Anhänger verschiedenster anderer Klubs. Und alles drehte sich um das große Spiel, in dem Bayer 04 – aber das ahnte damals noch niemand – seinen bis heute letzten Titel holen sollte.

Wirklich elektrisiert war ich dann im Stadion und als Ulf Kirsten endlich das erlösende Siegtor schoss – und noch mehr beim Schlusspfiff kümmerte mich weder der Dauerregen (den ich als ziemlich kalt in Erinnerung habe) noch die Tatsache, dass rund um mich gefühlt nur Berliner waren. Noch schlimmer war die Unterzahl nach Spielende rund um die Gedächtniskirche, wo sich eigentlich die Bayer-Fans zur Siegesfeier treffen wollten. Es war wohl vielen so gegangen wie uns. Die gereizte Stimmung der Herthaner dort ließ uns den Rückzug antreten Richtung Bahnhof. Da war richtig was los und einige Leverkusener bereicherten die Siegesfeier um ein ungewöhnliches Element: vergnügte, wilde (und nicht immer ganz unfallfreie) Gepäckwagen-Rennen über den Bahnsteig.

Die Frage, wie sich eine Pokalsieger-Sause wohl als Erwachsener anfühlen muss, kann  ich bis heute leider nicht beantworten. Denn bekanntlich reichte es weder 2002 noch 2009 zu einem erneuten Sieg in Berlin. Dafür konnte ich dort das Drumherum etwas bewusster wahrnehmen. Statt Gepäckwagenrennen gab es eifrige Diskussionen über die Gründe für das Scheitern und (sicher auch nicht ganz faire, aber doch nur zu menschliche) Schuldzuweisungen. Sündenböcke waren schnell ausgemacht: 2002 Jörg Butt, der gefühlt als Einziger im Stadion nicht wusste, in welche Ecke Schalkes Jörg Böhme seinen direkt verwandelten Freistoß schießen würde. 2009 Bruno Labbadia, der trotz desaströsem Interview noch auf der Bank sitzen durfte, viel zu spät wechselte und vor allem Bernd Schneider seinen letzten großen Auftritt verwehrte.

Zu meiner Natur und der vieler Mit-Fans gehört es aber auch, dass diese Enttäuschungen uns nicht brechen konnten. Nicht am Spieltag selbst, als 2002 die Entschlossenheit tröstete, dass wir dann eben in Glasgow die Champions League gewinnen würden (was auch nicht gelang) und 2009 der Stolz auf die für unsere Verhältnisse unfassbar große Menge Bayer-Fans und deren großartige Stimmung.

Denn irgendwann kommen wir wieder. Dass es jetzt eigentlich soweit wäre, aber das Finale ohne mich, ohne uns, stattfinden wird, ist wirklich bitter, aber leider richtig. Und so bleibt uns nur, diesmal vor dem Fernseher mitzufiebern. Und darauf zu hoffen, dass es  wieder ein nächstes Mal geben wird. Dann aber bitte mit allem Drum und Dran, Fans im Stadion, Berlin-Erlebnis, Olympiastadion, meinetwegen auch mit trügerischer Hoffnung.

Und zur Abwechslung vielleicht sogar mal wieder mit einem Sieg und anschließendem wilden Gepäckwagen-Rennen auf dem Bahnsteig.

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