Geschichtsverein Opladen Das Leben zwischen zwei Kriegen

Leverkusen · Opladener Geschichtsverein startet internationales Projekt zur Zeit zwischen 1918 und 1939. Workshop zeigt historisches Panorama auf. „Für die Geschichte von Leverkusen ist dieser Zeitraum sehr wichtig“, sagt Professor Wolfgang Hasberg (Köln).

 Politischer Aufbruch in eine neue Zeit: Die Sozialistische Arbeiterjugend in Opladen fand in den 20er und 30er Jahren gerade bei jungen Arbeitern des Bayer-Werks und des Ausbesserungswerks der Eisenbahn Zuspruch. Später lösten die Nazis die Arbeitervereine auf. 

Politischer Aufbruch in eine neue Zeit: Die Sozialistische Arbeiterjugend in Opladen fand in den 20er und 30er Jahren gerade bei jungen Arbeitern des Bayer-Werks und des Ausbesserungswerks der Eisenbahn Zuspruch. Später lösten die Nazis die Arbeitervereine auf. 

Foto: OGV

Vor zwei Jahren erregte die Fernsehserie „Babylon Berlin“ große Aufmerksamkeit. Sie ließ das Berlin der 1920er Jahre wiederauferstehen, mit all seinem Reiz, aber auch den politischen Konflikten und dem sozialen Elend. Eine Erkenntnis für viele Zuschauer: Das, was die Menschen damals bewegte, ist uns gar nicht so fremd. Weil das nicht nur für Berlin gilt, sondern auch für das Rheinland, unternimmt der Opladener Geschichtsverein nun gemeinsam mit dem Jülicher Geschichtsverein den Versuch, diese Zeit auch den Menschen in unserer Region aus heimischer Perspektive näherzubringen. Als Startschuss für die Arbeit an dem Projekt „StadtRäume – europäische Städte als kulturelle Räume in der Zwischenkriegszeit“ haben die beiden Vereine am vergangenen Wochenende einen Workshop in der Thomas-Morus-Akademie  in Bensberg veranstaltet.

„Für die Geschichte von Leverkusen ist dieser Zeitraum sehr wichtig“, sagt Professor Wolfgang Hasberg (Köln). Leverkusen entstand als Stadt erst 1930 als Zusammenschluss von Wiesdorf mit den Gemeinden Schlebusch, Steinbüchel und Rheindorf. Ganz so hoch her wie in „Babylon Berlin“ ging es damals zwar nicht, „spannend war die Entwicklung hin zur jungen Stadt und die angrenzender Kommunen wie der damaligen Kreisstadt Opladen aber allemal“, sagt Hasberg.

 Damals war das von Wilhelm Fähler geplante und von 1927 bis 1928 errichtete Gebäude des Carl-Duisberg-Gymnasiums ein sehr moderner Bau.

Damals war das von Wilhelm Fähler geplante und von 1927 bis 1928 errichtete Gebäude des Carl-Duisberg-Gymnasiums ein sehr moderner Bau.

Foto: OGV

In mehreren Vorträgen und in lebhafter Diskussion zeichneten die Workshop-Teilnehmer ein vielfältiges Panorama, insbesondere der 1920er Jahre. So skizzierte Professor Stefan Goch (Düsseldorf) die Herausforderungen, die sich den zahlreichen, oft binnen weniger Jahrzehnte auf der „grünen Wiese“ emporgeschossenen Industriestädten in der Rheinprovinz stellten. Der damals herrschende Wohnungsmangel und die oftmals noch unzureichende Infrastruktur ließen durchaus Parallelen zu heutigen Verhältnissen erkennen.

 Die Zwischenkriegszeit war auch eine Zeit der Wohnungsnot. „Kriegerehrenheime“ wie das in Küppersteg (Am Neuenhof)  sorgten für Entlastung.

Die Zwischenkriegszeit war auch eine Zeit der Wohnungsnot. „Kriegerehrenheime“ wie das in Küppersteg (Am Neuenhof)  sorgten für Entlastung.

Foto: OGV

In Kunst und Kultur brach sich die Moderne damals endgültig Bahn (Professor Gertrude Cepl-Kaufmann, Düsseldorf). In Leverkusen war es der Architekt Wilhelm Fähler, der mit seinen Bauten wie dem ehemaligen Carl-Duisberg-Gymnasium das Gesicht der neuen Stadt prägte und mit der Kleinhaussiedlung „Heidehöhe“ Arbeitern ein Zuhause gab (Jan Sting). In dieser Zeit liegen auch die Anfänge der Leverkusener Musikschule (Ingeborg Rüttermann).

Interessant auch, wie sich allgemein die Städte im Rheinland in der großen Hyperinflationskrise von 1923 als Krisenmanager an der „Basis“ profilierten. Das lässt an die anspruchsvollen Aufgaben der Kommunen in der Corona-Krise denken (Professor Christoph Nonn, Düsseldorf).

Bei allem Aufbruch blieb manches jedoch auch beim Alten, zumindest auf den ersten Blick: Im ländlichen Lützenkirchen etwa gaben noch immer die altehrwürdigen Vereine den Ton an. Wer hier Teil der Dorfgemeinschaft werden wollte, musste erst einmal Mitglied werden, zum Beispiel im Schützenverein, der 1423 erstmals erwähnt wurde und noch heute besteht (Stefanie Weyer).

Zunächst noch in den bekannten Bahnen des Kaiserreichs bewegte sich auch die Kulturarbeit von Bayer. Erst, als die Nationalsozialisten in Deutschland und auch im Rheinland die Macht übernahmen, boten die Kulturmanager des Konzerns den Arbeitern der damaligen I. G. Farben mehr als Chorgesang und klassische Musik. Die neue, „modernere“ Ansprache diente jedoch unverkennbar auch der Beeinflussung im Sinne der nun herrschenden nationalsozialistischen Ideologie (Sophie Spiegler). Die zahlreichen Arbeitervereine, die in Jahren zuvor das Leben vieler Werksarbeiter geprägt hatten, waren da schon aufgelöst oder gleichgeschaltet worden (Reinhold Braun).

Ein vielfach beachtetes Großereignis der 1920er Jahre waren indes die „Rheinischen Jahrtausendfeiern“. Sie sollten 1925 mithilfe eines durchaus waghalsigen Rückgriffs auf das Frühmittelalter die Zugehörigkeit des Rheinlands zu Deutschland betonen, schließlich war dieses zu diesem Zeitpunkt noch von den Siegermächten des Ersten Weltkriegs besetzt. Historische Ausstellungen und Vorträge, aber auch Festumzüge, Sportwettkämpfe oder Theateraufführungen lockten damals in vielen Städten und Gemeinden die Menschen in Massen an. Wie sehr sich auch die Menschen im Raum Leverkusen dafür begeistern ließen, ist noch nicht genau geklärt (Jörn Wenge).

Beantwortet wird diese Frage nun vielleicht im weiteren Verlauf des Projekts. Dieses ist auf drei Jahre angelegt und soll auch eine starke europäische Perspektive entwickeln. Für diese setzte sich Markus Prutsch ein, der als Verantwortlicher Wissenschaftler und Forschungsadministrator im Europäischen Parlament tätig ist. Das war ganz im Sinne der beiden Geschichtsvereine. Neben Bürgermeister Bernhard Marewksi und Vertretern von Institutionen wie dem Landschaftsverband Rheinland  nahmen schließlich auch Gäste aus den Leverkusener Partnerstädten Ratibor (Oberschlesien/Polen) und Villeneuve d‘Accq (Frankreich) teil. Mit ihnen und Vertretern weiterer Partnerstädte sollen bei einem weiteren Workshop im Herbst gemeinsam Projekte entwickelt werden. Auch ein Filmprojekt ist angedacht. Das wird im Ergebnis sicherlich nicht so opulent werden wie „Babylon Berlin“, soll aber nicht minder aufschlussreich sein.

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