Interview mit Prof. Dr. Gerd Krumeich "Man sollte die Finger vom Kriegspielen lassen"

Leverkusen · Der langjährige Lehrstuhlinhaber für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Uni Düsseldorf wirbt darum, Lehren aus der Krise von 1914 zu ziehen.

 Gerd Krumeich am Montagabend im Forum: Im Sommersemester 2008 fand unter seiner Leitung eine Exkursion an die Schlachtfelder der Somme aus dem Ersten Weltkrieg statt. Das GPS-Projekt mit zahlreichen Informationen ist einzusehen unter: www.verdun-somme-1916.de/.

Gerd Krumeich am Montagabend im Forum: Im Sommersemester 2008 fand unter seiner Leitung eine Exkursion an die Schlachtfelder der Somme aus dem Ersten Weltkrieg statt. Das GPS-Projekt mit zahlreichen Informationen ist einzusehen unter: www.verdun-somme-1916.de/.

Foto: Uwe Miserius

Kaum ein deutscher Historiker ist in diesen Tagen so gefragt, wie Prof. Dr. Gerd Krumeich. Der langjährige Lehrstuhlinhaber für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der sich seit dem Ablauf des Wintersemesters 2009/2010 im Ruhestand getreten ist, ist zurzeit gefragter denn je. Als Experte für Militärgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie die Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs wird er überall im Land zu Vorträgen eingeladen. In Leverkusen gab er unserer Zeitung am Rande seines Referats im Forum (siehe auch nebenstehenden Artikel) dieses Interview.

Herr Professor Krummeich, die Europäer schauen zurzeit mit Sorge auf die Krise in der Ukraine - und ziehen mitunter Parallelen zu 1914. Wiederholt sich jetzt Geschichte und wenn ja: Gibt es tatsächlich die Gefahr eines großen europäischen Krieges?

Krumeich Ich habe auch Sorgen, dass diese Krise nicht in den Griff zu bekommen ist, aber ich befürchte (noch) nicht, dass daraus ein Krieg der Großmächte wird. Es scheint mir, dass inzwischen alle gelernt haben, was man 1914 noch nicht wusste oder wollte, nämlich, dass jeder Staat und jedes Bündnis auch auf das achten muss, was der andere zugeben kann, ohne sein Gesicht zu verlieren. Deshalb diese ganze Telefon- und Körperkontakt-Diplomatie heute. Das scheint ja (noch) zu funktionieren.

Der Historiker Christopher Clark hat in seinem Bestseller "Die Schlafwandler" ein großes Publikum für die Diplomatische Krise des Jahres

Diese Gegenstände erinnern unsere Leser an den Ersten Weltkrieg
8 Bilder

Diese Gegenstände erinnern unsere Leser an den Ersten Weltkrieg

8 Bilder
Foto: Endermann, Andreas

1914 begeistern können. Ich fand dieses Buch als Leser zwar sehr spannend und unterhaltsam, aber wie hilfreich ist ein solches populärwissenschaftliches Werk in der Aufarbeitung der damaligen Ereignisse tatsächlich?

Krumeich Clark ist nicht eigentlich populärwissenschaftlich, sondern mit einem dicken Fußnoten-Apparat gespickt. Er hat viele, sehr viele Quellen ausgewertet. Was ich ihm vorwerfe ist, dass er unbedingt das Verhalten der deutschen Politiker und Militärs entschuldigen will und auch die Aktionen der Österreicher gegen Serbien für legitim hält. Für ihn sind die Serben so grausam wie die von Srebrenica, das darf man als Historiker nicht sagen. Und es geht auch nicht an, zu verschweigen beziehungsweise herunterzuspielen, dass Österreich-Ungarn unbedingt Krieg mit Serbien haben wollte und deshalb bewusst ein unannehmbares Ultimatum stellte. Auch sollte man nicht herunterspielen, dass Deutschland Österreich-Ungarn für diese Politik unbedingt den Rücken frei hielt und alle ehrlichen Verhandlungsangebote der Briten, Franzosen und auch der Russen ablehnte. Was damals keiner verstand.

Sie haben sich praktisch ein ganzes Forscherleben mit dem Ersten Weltkrieg befasst, was hat Sie dazu bewogen, sich gerade auf dieses Thema zu konzentrieren?

krumeich Der Erste Weltkrieg ist ein unerschöpfliches Thema, und ich habe in meinen Forschungen und Publikationen auch die Entwicklung des Interesses an diesem Krieg immer reflektiert. Von der Politik-, Wirtschafts- und Entscheidungsgeschichte, wie wir sie in den 1960er und 1970er Jahren betrieben haben, bis zur Kriegserlebnis- und Emotionsgeschichte seit den 1990er Jahren. Außerdem habe ich ja auch immer im internationalen Kontext gearbeitet, zusammen mit französischen und britischen und amerikanischen Historikern. Und wenn ich den Weltkrieg gerade nicht mehr haben konnte, habe ich ja schließlich auch über Jeanne d'Arc und ihren Kult geschrieben.

Welche Bedeutung haben die Veranstaltungen des Jahres 2014 zum Ersten Weltkrieg? Sind all die Ausstellungen, die Fernsehsendungen aus wissenschaftlicher Sicht wirklich wichtig oder stören sie vielleicht gar den Blick auf das Wesentliche??

krumeich Niemand hätte mit einem so großen Interesse des Publikums rechnen können. Es ist sehr bewegend, was dort alles geschieht und aus vielen der Ausstellungen , die ich gesehen oder an denen ich mitgearbeitet habe, können auch wir Historiker noch sehr viel lernen. Großartig, was hier auch eine gescheite Lokalforschung heute noch neu ans Licht ziehen kann, ich denke nur an die soeben eröffnete "Weltenbrand"-Ausstellung in Hagen. . Auch das Projekt des Kölner Stadtmuseums wird zu einer sehr innovativen Ausstellung führen.

Was sollte ein Zuhörer Ihrer Vorträge, was sollte ein Leser Ihrer Bücher als Erkenntnis mitnehmen?

krumeich Ich habe zum Beispiel in meinem Buch "Juli 1914" aber auch in meinen Kriegs-Vorträgen zu zeigen versucht, wie sehr das, was im Juli 14 dann passierte, auf festgefügten Stereotypen, Annahmen und Selbstsicherheiten in Bezug auf den vermuteten Gegner und die eigene Stärke unternommen wurde, und wie sehr sich die Regierenden und Militärs bei ihrer Kriegsplanung verschätzt haben. Man wollte die als "dekadent" angesehen Franzosen in vier bis fünf Wochen überrennen, man rechnete mit einem Krieg von drei bis vier Monaten Länge, man glaubte, höchstens zwei Millionen Soldaten mobilisieren zu müssen - ja, und dann wurde alles ganz anders . . .

Was kann man aus der Geschichte, speziell aus der des Ersten Weltkrieges, lernen?

krumeich Man sollte die Finger vom Kriegspielen lassen. Immer wieder werden aus geplanten kurzen Kriegen, aus internationalen Polizei-Krieg-Operationen, unüberschaubare und "heilige" Kriege. Der Krieg, hat Clausewitz gesagt, tendiert immer dazu, "absolut" zu werden, er hat keinen Grenze in sich. Und das können alle die, die überlegen, ob sie nicht auf Krieg setzten wollen, aus der Geschichte und besonders aus der Geschichte des Ersten Weltkriegs lernen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort