Romanerstling einer Leverkusenerin Ein Familien-Schicksal im Mayer-Werk

Leverkusen/Kall · Edith Lutz hat einen Roman geschrieben, der auf einer wahren Geschichte beruht. Die Namen darin sind nur leicht verändert.

 Der Roman „Einer aus Wiesendorf“ von der Leverkusenerin Edith Lutz ist jetzt erschienen. Sie recherchierte dafür unter anderem im Archiv von Bayer.

Der Roman „Einer aus Wiesendorf“ von der Leverkusenerin Edith Lutz ist jetzt erschienen. Sie recherchierte dafür unter anderem im Archiv von Bayer.

Foto: Pop-Verlag

Als ihr Vater plötzlich starb, war sie gerade 19 Jahre alt und Schwesternschülerin in jenem Krankenhaus, in das der Krankenwagen seine Leiche einlieferte. Mit dieser Schilderung beginnt Edith Lutz ihren Roman, in dem sie sich auf die Suche nach der Vergangenheit ihrer Familie begibt. Nach Geschichten, an die sie als mit Abstand Jüngste von vier Geschwistern, verschwommene und kindliche Erinnerungen hatte.

Sie hatte die Eltern traurig, ja verzweifelt erlebt, ohne die wirklichen Ursachen im Einzelnen zu begreifen. Denen ging sie erst auf den Grund, als sie nach dem ungeklärten Tod des Vaters Briefe und Dokumente in der Gartenlaube entdeckte. Auch Zeitungsausschnitte über ein Gerichtsverfahren am erweiterten Schöffengericht Opladen, in dem ihr Vater 1958 Werkspionage zur Last gelegt wurde. Und sie forschte nach der Vorgeschichte in der Zeit der Nationalsozialisten, den Kriegsjahren, als sie noch gar nicht geboren war.

Edith Lutz ist Jahrgang 1949, und ihr eigener Name ist der einzig reale. Alle anderen sind verändert, aber so minimal, dass sie sich leicht zuordnen lassen, von Ortskundigen allemal. „Einer aus Wiesendorf“ ist der Titel der Neuerscheinung, die der Pop-Verlag in einer Reihe mit Väter-Romanen auflegte. Die Farbenstadt Wiesendorf ist natürlich Wiesdorf, beziehungsweise das heutige Leverkusen, die Mayer-Werke unschwer als das Unternehmen Bayer zu erkennen. Dort arbeitete der Vater, den die Autorin Walter Paul nennt, in der Kautschukabteilung. Sehr erfolgreich sogar, denn er machte mehrere Erfindungen, die zum Patent angemeldet wurden.

Die Patente verhelfen dem Konzern zu ansehnlichen Gewinnen, was den jungen Chemiker einerseits mit Stolz erfüllt. Zum anderen nagen an ihm aber Zweifel, als klar wird, dass seine Erfindungen auch für den Krieg genutzt werden, zum Beispiel für Panzergranaten. Gedanken an Sabotage verbieten sich, schließlich muss er an seine Frau Lisbeth und die gemeinsamen drei Kinder denken.

Im Werk waren ihm polnische Zwangsarbeiter zugeteilt. Die Einzelheiten der Zeit vor ihrer Geburt kennt Edith Lutz aus familiären Erzählungen. Außerdem befragte sie die älteren Geschwister nach deren Erinnerungen, als sie sich auf die Suche nach der Wahrheit oder manchmal verschiedenen Wahrheiten machte. Die persönlichen Erzählungen stützte Edith Lutz durch gründliche Recherche im Stadtarchiv Leverkusen, im Auschwitz-Archiv, im Bundesarchiv, im NRW-Rheinland-Archiv und nicht zuletzt im Bayer-Archiv. In der Beschreibung des Prozess-Verlaufs zitierte sie ausführlich aus den erhaltenen juristischen Dokumenten und Akten.

Bewusst entschied sie sich für die stilistische Form des Romans und die leichte Verfremdung der Namen. „Mir ging es nicht um Anklage“, sagt Edith Lutz ganz deutlich. Sondern sie möchte, dass sich Leser genauso wie sie der realen Geschichte stellen, ohne sie schwarz-weiß zu malen, in gut und böse einzuteilen und sich darüber zu erheben. Sie verlangt Empathie, offen sein für die Menschen und ihre Lage. „Ich versuche ihnen Verständnis entgegenzubringen.“

Das ist auch ihr Antrieb, wenn sich die promovierte Leverkusenerin in der Friedensbewegung Israel-Palästina engagiert. Ohne sich in den anderen hineinzuversetzen würde sich auch da nichts bewegen, betont sie. Und Brücken schlagen, das möchte sie auch mit ihrem Roman, der auf wahren Geschehnissen basiert, aber der nicht nur einem Einzelschicksal gilt. Die gleichen Kräfte seien für das Leid vieler Menschen verantwortlich, nämlich das Streben nach Macht und Profit.

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