Leverkusener Jazztage Bühnenreife Anekdoten

Leverkusen · Die Corona-Pandemie wirft die Pläne für die 41. Jazztage durcheinander. Improvisations-Geschick bewiesen die Organisatoren aber schon oft, wie ein Rückblick auf die vergangenen 40 Jahre zeigt. Entstanden sind die Jazztage aus einem Kursus der Volkshochschule als Beitrag fürs Stadtjubiläum.

 Paco de Lucía und Al Di Meola (r.) traten bei den 31. Leverkusener Jazztagen auf. Ersterer verhalf Fußballstar Raúl zum Eintritt im VIP-Bereich.

Paco de Lucía und Al Di Meola (r.) traten bei den 31. Leverkusener Jazztagen auf. Ersterer verhalf Fußballstar Raúl zum Eintritt im VIP-Bereich.

Foto: Miserius, Uwe (mise)/Miserius, Uwe (umi)

Die Wegbereiter der Leverkusener Jazztage haben ausgerechnet im Jubiläumsjahr 2020 nicht viel zu lachen. Termine müssen laufend verschoben werden. Wenn die Jazztage in ihrer 41. Auflage überhaupt stattfinden werden, dann in deutlich abgespeckter Form. Derzeit dürfen Veranstaltungen im Terrassensaal des Leverkusener Forums, des Epizentrums des Festivals, vor gerade mal 299 Besuchern stattfinden. Das lässt sich für Festival-Leiter Fabian Stiens finanziell schwer darstellen.

Was aber bleibt und zählt, sind die vielen Erinnerungen an 40 Jahre Jazz in Leverkusen, mit den vielen Besonderheiten, den Andenken, Problemen und – vor allem – den vielen musikalischen Höhepunkten. Zeit also, einige Wegbegleiter zu Wort kommen zu lassen, die alle irgendwie ihre ganz eigenen Geschichten erzählen können.

Zwei Männer der Stunde null, als die Jazztage aus einem Kursus der Volkshochschule als Beitrag für das Stadtjubiläum Leverkusens entstanden sind, können sich erinnern. Es sind Bernd Neufeind und Erhard T. Schoofs. Später kamen beispielsweise noch Dennis Heinze und Peter Sommer vom Westdeutschen Rundfunk dazu, die für die Konzert-Mitschnitte sorgten und damit dem WDR zu einem der größten Jazz-Archive der Welt verhalfen. Allein auf Youtube kann man einige hundert Konzerte abrufen.

 Miriam Makeba war der bestellte Bus zu klein. Sie wollte nur in einem großen Nightliner aus den Niederlanden anreisen.

Miriam Makeba war der bestellte Bus zu klein. Sie wollte nur in einem großen Nightliner aus den Niederlanden anreisen.

Foto: Seibel, Peter (sb)

Weitere Aktive: Eckhard Meszelinsky und natürlich der heutige Leiter Fabian Stiens (32 Jahre alt), der zwar sehr früh als Helfer im Bühnenbereich seine ersten Erfahrungen sammelte, aber bei der Gründung noch nicht einmal geboren war.

Dann gab es zwei namhafte Mitstreiter – Wolfgang Orth und Ewald Kremer – die inzwischen verstorben sind. Ohne sie wären die Jazztage nie das geworden, was sie heute sind. Orth mit seinem Enthusiasmus und seiner Szenekneipe „Topos“ in Wiesdorf – gewissermaßen das Rückgrat. Ewald Kremer als Kassenwart des Vereins, dem plötzlich eine Forderung des Finanzamts über eine Steuernachzahlung von rund einer halben Million D-Mark schlaflose Nächte bescherte. Das war im Jahr 1995, als nach einer abenteuerlichen Hauptversammlung des Leverkusener Jazztage Vereins der Club sich vor dem Ende sah (wegen der Steuern) und alles eine wundersame Wende nahm.

 Beim Auftritt von Jamie Cullum gab es Probleme, weil die Crew auf der kleinen Bühne eine Videokamera aufbauen wollte.

Beim Auftritt von Jamie Cullum gab es Probleme, weil die Crew auf der kleinen Bühne eine Videokamera aufbauen wollte.

Foto: Miserius, Uwe (umi)

„Ich habe mich überreden lassen und im Grunde gar nicht gewusst, was da auf mich zukam“, erinnert sich Eckhard Meszelinsky an seine ersten Festivals, als er viel Zeit mit Steuerberatern verbrachte, um die Forderung des Finanzamts vom Tisch zu kriegen. Es ging vor allem um die Gagen an ausländische Musiker, von denen der deutsche Fiskus seinen Anteil haben wollte.

Klar: Der gemeinnützige Verein hatte einen Überschuss erwirtschaftet, aber dieser Betrag war für die Künstler vorgesehen, die im Laufe eines Jahres im „Topos“ auftraten. Von den Eintrittsgeldern in der kleinen Kneipe wären da oft nicht einmal Spesen zu bezahlen gewesen.

Viele haben noch Erinnerungen an das – natürlich – ausverkaufte Konzert von Miles Davis im Jahr 1990. „Er war damals schon sehr krank“, berichtet Erhard Schoofs. „Und so viel ich in Erinnerung habe, hatte er vor seinem Tod nur noch einen Auftritt in Paris.“ Aus besonderem Anlass gab’s auch eine Ausstellung auf Schloss Morsbroich mit Grafiken des Künstlers. Doch die Vernissage musste ohne ihn stattfinden; denn sonst hätte er wohl keine Kraft mehr für seinen Auftritt am Abend gehabt.

Peter Sommer vom WDR weiß noch, wie es vor dem Auftritt von Jamie Cullum größte Probleme gab. Die Crew wollte nämlich eine Videowand installieren lassen. Unmöglich war das aus Sicht der WDR-Techniker auf der für den Weltstar verhältnismäßig kleinen Bühne. Die Kameraleute hätten keinen Platz gefunden. Aber nach dem Konzert waren selbst Cullums Begleiter begeistert.

Oder als Abdulla Ibrahim beim Soundchef einfach nur meinte, dass er auf diesem Klavier nicht spielen würde. Plan B musste her: Eckhard Meszelinsky ging mit dem Star erst einmal zum Italiener. Nach einigen Flaschen Rotwein sah die Welt schon wieder rosa aus. In der Zwischenzeit hatte Klavierbaumeister Jan Enzenauer das Instrument gestimmt, es wurde poliert. Ibrahim sagte nur: „Tolles Instrument.“

Schon tagsüber staunte die Bühnen-Crew über eine Box mit einem dicken Schloss für Ray Charles. Erst kurz vor dem Auftritt löste sich das Rätsel: Ein Schluck Bommerlunder ölte gewissermaßen Charles’ einmalige Stimme. Ergebnis: ein wirklich tolles Konzert. Allerdings gab’s keine Zugabe, was dem damaligen Vereinschef Schoofs überhaupt nicht behagte. Vor dem Publikum schimpfte er, was Charles Begleitband offensichtlich mitbekam. Danach gab es ordentlich Zoff.

Es gibt noch viele solcher Pannen und Anekdoten: Als sämtliche, zum Teil seltenen Instrumente des „World Saxophon Quartetts“ versehentlich in Prag landeten, war es eine Meisterleistung der Jazztage-Helfer, tagsüber noch Ersatz zu beschaffen. Oder Miriam Makeba, die den 25-Plätze Bus für ihre (kurze) Anreise aus den Niederlanden als zu klein empfand – es musste unbedingt ein großer Nightliner sein.

Beim Konzert von „Living Colour“ hatte deren Sänger Geburtstag, die Band-Mitglieder dachten sich ein Geschenk aus: Es war eine Stripperin, die tatsächlich auf der Bühne ihre „Ausziehkunst“ vorführte. Dem Sänger war das sichtlich peinlich, der WDR brach die Aufzeichnungen ab und sendete vom ganzen Konzert nicht eine Minute.

Auch im Kleinen gab es Missverständnisse. Als der Fußballstar Raúl am VIP-Eingang beim Konzert von Paco de Lucia Einlass begehrte, am es zu Irritationen. Ute Teubert, die Dame am Nebeneingang, kannte ihn nicht: „Von Fussball habe ich keine Ahnung.“ Dafür kannte der Gitarrenvirtuose den einstigen Rekordtorschützen von Real Madrid.

Wie in und nach Corona-Zeiten das hohe Niveau der Jazztage gehalten werden kann, bleibt die große Frage. Die Stadt Leverkusen hat angesichts ihres Nothaushalts schon längst die Förderung und die Übernahme des finanziellen Risikos eingestellt. Selbst für die Konzerte im Forum muss inzwischen Miete bezahlt werden.

Der WDR zeichnet seit geraumer Zeit nicht mehr alle Konzerte auf. Die Begründung von WDR-Redaktuer Peter Sommer: „Auch wir müssen sparen. Und es gibt auch immer wieder Musiker, die schon zu oft dabei waren.“

In diesem Jahr: Genaueres will Festival-Leiter Fabian Stiens im September verkünden. Wahrscheinlich unter Vorbehalt; denn keiner weiß, was dieser kleine Virus noch alles von uns abverlangt.

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