Stadtgeschichte In der Beamtenkolonie residierte der Chef

LEVERKUSEN · Das neue Heft der Reihe „Niederwupper“ skizzert die rasante Stadtentwicklung von Wiesdorf um 1900.

 Beamtenvilla aus der Beamtenkolonie in Leverkusen.

Beamtenvilla aus der Beamtenkolonie in Leverkusen.

Foto: Bayer Archiv

Vor 90 Jahren wurde die Abteilung Leverkusen-Niederwupper im Bergischen Geschichtsverein neu gegründet. Und damit ist der Verein, der heute zusammen mit dem Opladener Geschichtsverein und der Stadtgeschichtlichen Vereinigung in der Villa Römer beheimatet ist, zwei Jahre älter als die Stadt Leverkusen, die erst 1930 gegründet wurde.

Der Geburtstag war Anlass, die rasante Stadtentwicklung vom bäuerlichen Wiesdorf zur expandierenden (Chemie-)Industriestadt in den Blick zu nehmen. Ohne diese Entwicklung hätte es vielleicht auch nie eine so große Abteilung des Vereins gegeben, vermuten Ellen Lorentz, Reinhold Braun und Manuel de Montigny im Vorwort zum neuen Heft 29 der Reihe „Niederwupper“. Das skizziert auf 112 Seiten „Das Leben in der Beamtenkolonie und Kolonie Eigenheim der Firma Bayer Leverkusen“ und ist für acht Euro im Haus der Stadtgeschichte Villa Römer erhältlich.

Begonnen hatte alles 2017 mit mehreren Stadtspaziergängen, die der Verein anbot, um Menschen in ihren Wohnquartieren anzusprechen. Mit Unterstützung von Pfarrer Detlef Prößdorf fanden in der Christuskirche Gesprächskreise statt, in denen die Teilnehmer ihre Erinnerungen und ihr Wissen über die Siedlung Beamtenkolonie zusammentrugen. Zwischen 1895 und 1930 wurden auf großen Grundstücken prächtige Villen für die leitenden Angestellten, die „Beamten“, der Farbenfabriken errichtet. Wie die bescheideneren Kolonien „Anna“, „Julia“, „Johanna“, die Arbeitern Wohnraum gaben, und die „Eigenheim-Kolonie“ östlich der Richard-Wagner-Straße waren sie nach den Prinzipien der englischen Gartenstadt (Luft und ausreichend Raum) geplant. Damit wurde ein bewusster Gegentrend zur modernen Wohnform um 1900 gesetzt, in der sich Industrielle und Führungskräfte in exklusive Wohnviertel (Köln-Marienburg oder Elberfeld-Brill) zurückzogen.

In Leverkusen wurden alle rings ums Bayer-Werk angesiedelt, allerdings waren auch hier die Wohnquartiere streng sozial gegliedert. In der Beamtenkolonie residierte die Chefetage, die Kolonie „Eigenheim“ war ein Baustein im sozialen Aufstiegssystem der Bayer-Familie. Um Chemiker und Ingenieure, die anfangs noch aus Köln-Mülheim einpendelten, an das Werk zu binden, stellte man ihnen zu günstigen Konditionen Bauland in diesem Quartier zur Verfügung. Die junge Gemeinde Wiesdorf profitierte von dem Zuwachs, denn der spülte die Steuergelder der „Gutsituierten“ in die Kasse, aus der die kommunale Infrastruktur (Kanalisation, Wasserversorgung, Elektrizität) beglichen wurde. Im Niederwupper-Heft 29 werden anhand konkreter Beispiele die Aspekte der Stadtentwicklung (inklusive Einkauf und Freizeit) beschrieben. Orientierung gibt eine Zeittafel, es gibt Straßen-Pläne und Gebäudegrundrisse, Skizzen der ursprünglichen Ausstattung und viele Fotografien, sowohl private als auch gehütete historische Aufnahmen aus dem Bayer-Archiv.

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