Corona-Krise Etwas mehr Fälle von häuslicher Gewalt

Leverkusen · Die durch das Kontaktverbot befürchteten Horror-Szenarien sind ausgeblieben. Experten geben aber keine Entwarnung. Die Frage ist: Wie hoch ist die Dunkelziffer? „Nach den ersten Lockerungen melden sich Frauen vermehrt bei uns“, sagt Judith Stohr von der Frauenberatungsstelle Leverkusen.

 Häusliche Gewalt bleibt auch in Leverkusen ein Problem. In den vergangenen Wochen ist ein leichter Anstieg feststellbar.

Häusliche Gewalt bleibt auch in Leverkusen ein Problem. In den vergangenen Wochen ist ein leichter Anstieg feststellbar.

Foto: dpa/Maurizio Gambarini

Manchmal sind es kleine Dinge, die auf große Probleme hindeuten. Ein Suchergebnis im Internet zum Beispiel. Die Seite www.frauen-info-netz.de listet freie Plätze in Frauenhäusern auf. Für Leverkusen und einen Umkreis von 50 Kilometern zeigt die Karte viele rote, durchgestrichene Kreise. Das bedeutet: kein Platz frei. Häusliche Gewalt ist ein schwieriges Thema, vielleicht sogar eines der letzten Tabuthemen, aber sie ist eine Realität, die während der Corona-Krise zu eskalieren droht. Das zumindest befürchteten viele Experten, als das öffentliche Leben zunehmend runtergefahren wurde und die Kontaktsperren galten.

Die auch für Leverkusen zuständige Polizei Köln verzeichnet indes nur einen geringen Anstieg der Einsätze wegen häuslicher Gewalt. Im April 2019 wurde sie in 15 Fällen zu einem entsprechenden Einsatz in Leverkusen gerufen, der mit einer Strafanzeige endete. Im April 2020 ist die Zahl auf 26 gestiegen. Allerdings: 2018 lag sie bei 21. „Es ist nachvollziehbar, dass viele einen Anstieg der Fallzahlen während der Kontaktbeschränkungen befürchtet haben, aber allein anhand dieser Zahlen ist das, wenn überhaupt, nur geringfügig feststellbar“, sagt Polizeisprecher Christoph Schulte. Offen bleibe wie so oft die Frage, wie groß die Dunkelziffer ist.

Die kann auch Judith Stohr von der Frauenberatungsstelle Leverkusen nicht beantworten. Doch sie geht davon aus, dass die Zahlen steigen. „Nach den ersten Lockerungen melden sich Frauen vermehrt bei uns“, sagt die Diplom-Sozialpädagogin. In den Vorwochen seien Betroffene geradezu unter permanenter Kontrolle ihrer Partner gewesen. „Es gab für sie unter Umständen keine Möglichkeit, sich Beratung und Hilfe zu holen.“ Das sei nun wieder anders.

Corona hat aber nicht nur deswegen die Arbeit der Beratungsstelle erschwert, die im Notfall Plätze in Frauenhäusern vermittelt. Auch das für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses wichtige persönliche Gespräch von Angesicht zu Angesicht ist weggefallen. „Allein in der vergangenen Woche hatten wir 20 telefonische Beratungen, davon neun wegen häuslicher Gewalt“, sagt Stohr. Das geschulte Ohr erkenne mitunter auch aus der Distanz, ob und wann Nachfragen angebracht sind. „Man entwickelt mit der Zeit ein Gespür dafür, ob womöglich auch Gewalt im Spiel ist.“

Wenn überhaupt lasse sich in dem Zusammenhang bislang nur ein leichter Anstieg feststellen. Dennoch ist das Problem weiterhin akut. 2019 kamen 634 Frauen zur Beratungsstelle, die auch in vielen anderen Fragen – zum Beispiel zu Scheidungen und Sorgerecht – hilft. Knapp die Hälfte davon waren Fälle von häuslicher Gewalt.

Auch beim Jugendamt war während der vergangenen rund acht Wochen alles anders. Schulen und Kindertagesstätten waren geschlossen, die für die tägliche Arbeit wichtigen Rückmeldungen aus den Einrichtungen blieb aus. „Wir haben Kita-Mitarbeiter gebeten, Kontakt zu den Familien zu halten, in denen es schwierig oder kritisch werden könnte“, sagt Angela Hillen. Die Jugendamtsleiterin der Stadt habe versucht, die Sicherungssysteme an die Pandemie anzupassen, „damit kein Kind und kein Jugendlicher durch das Raster fällt.“ Die guten Netzwerke in Leverkusen, auch durch die freien Träger, hätten dabei sehr geholfen.

Einen signifikanten Anstieg der Fälle kann auch sie nicht feststellen. Dennoch sei das Problem nach wie vor akut. „Wir hatten auch in diesen Corona-Zeiten vier bis fünf Einsätze die Woche, zu denen wir raus mussten“, sagt Hillen. Dafür gebe es ein Schichtsystem für die Mitarbeiter, damit die Dienstfähigkeit erhalten bleibe. „Wir mussten improvisieren und viele neue Wege gehen, aber wenn es notwendig ist, machen wir uns auch vor Ort ein Bild.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort