Häusliche Gewalt 28 Hilferufe an einem Wochenende

Leverkusen · Polizei greift ein, wenn Männer zuschlagen. Vermehrte Anfragen von Opfern bei der Frauenberatungsstelle.

 Häufig sind Frauen ihrem Peiniger über längere Zeit ausgeliefert. Wird ein Fall häuslicher Gewalt entdeckt, kann die Polizei den Täter auf begrenzte Zeit der Wohnung verweisen.

Häufig sind Frauen ihrem Peiniger über längere Zeit ausgeliefert. Wird ein Fall häuslicher Gewalt entdeckt, kann die Polizei den Täter auf begrenzte Zeit der Wohnung verweisen.

Foto: Bretz Andreas/Bretz, Andreas (abr)

Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen beschäftigen zunehmend die Polizei. „Sie findet hinter der Wohnungstür im Verborgenen statt und ist in ihrer  Dimension nicht zu unterschätzen“, sagt  Stephan Becker, der als Kripo-Chef für Köln und Leverkusen zuständig ist. „Es gab zuletzt in unserem Zuständigkeitsbereich  28 angezeigte  Delikte an nur  einem Wochenende, hinzu kommt das Dunkelfeld.“

Polizeibeamte sind für die Frauen häufig ein erster Ansprechpartner nach Gewalttaten. Nachbarn hören Schreie aus Wohnungen in Mietshäusern und rufen die Polizei. Mitunter sind es auch die Opfer selbst, die zum Hörer greifen. Dann geht es um Deeskalation. Nach dem Gewaltschutzgesetz können prügelnde Ehemänner umgehend für zehn Tage der Wohnung verwiesen werden. Frauen bekommen Gelegenheit zu einer Denk- und Atempause. Sie erhalten Kontakthinweise auf Beratungsstellen. Für die Opfer beginnt ein mühsamer Weg aus der Gewaltspirale. Manche Frauen gehen ihn, anderen fehlt der Mut.

Auf die offenbar zunehmende Gewaltbereitschaft hat die Polizei reagiert. „Wir konzentrieren jetzt die Sachbearbeitung und kümmern uns noch intensiver um die extremen Fälle“, sagt Becker. Häufig seien es Frauen und Kinder, die über Jahre ein Martyrium erleiden. „In der Regel dringen solche Fälle nicht nach draußen. Bei häuslicher Gewalt geht es meistens um Körperverletzung, im Extremfall mündet es in einem Todesdelikt.“  Dabei steht die Intervention der Polizei am Anfang einer Kette, bei der viele Helfer zusammenarbeiten. „Wir sehen unsere Aufgabe darin, diese Eskalationsspirale zu durchbrechen“, sagt der Kripochef. „Dabei kümmern wir uns natürlich auch um die Täter. Das Instrument  der Gefährderansprache  hilft uns dabei. Nach dem neuen Polizeigesetz haben wir  die rechtliche Möglichkeit, einen Täter länger als bisher in Gewahrsam zu halten.“

Besonders schwierig sei es immer dann, wenn religiöse oder ethnische Hintergründe im Spiel sind.  „Wir hatten in der Vergangenheit einige schwerwiegende Fälle“, sagt Becker. Dabei ging es etwa um den Fall seiner jungen Jesidin. Becker:  „Jesidische Frauen dürfen nur Männer heiraten, die ebenfalls Jesiden sind. Fügen sich die Frauen dem nicht und begehren auf, so wird das von der Familie häufig nicht akzeptiert. Die junge Frau mussten wir vor ihrer eigenen Familie schützen.“

Auch in der Leverkusener Frauenberatungsstelle gibt es eine deutliche Zunahme der Frauen, die wegen häuslicher Gewalt Hilfe suchen. Kamen 2018 noch 424 Frauen zur Beratung wegen häuslicher Gewalt, waren es 2019 schon 634 Frauen. Dabei verteilt sich die Zahl der Ratsuchenden auf etwa jeweils ein Drittel auf Deutsche ohne Migrationsgeschichte, Migrantinnen mit und ohne deutschen Pass, berichtet Beraterin Christiane Meinekat. „Die Frauen kommen meist zur Beratung zu Trennung und Scheidung“, sagt die Sozialpädagogin. „Doch im Lauf des Gesprächs geht es dann auch um häusliche Gewalt.“

Frauen, die nach Gewalterfahrungen zur Beratung kommen, sind häufig traumatisiert. Die Zehn-Tages-Frist, während der Männer nach Übergriffen die Wohnung verlassen müssen, kann verlängert werden bis zu einem halben Jahr. Bei der Beratung geht es dann auch um Fragen  der rechtlichen und finanziellen Absicherung. Sind Kinder vorhanden, wird das Jugendamt eingeschaltet. Für die Frauen beginnt ein schwieriger Prozess der Entscheidungsfindung. „Die Frau muss von ihrer Entscheidung überzeugt sein“, sagt Meinekat. „Es gehört viel Mut dazu, zu sich selbst zu stehen.“ Leben die Frauen in Großfamilien, wirkt deren Einfluss besonders stark. „Da reicht es mitunter nicht, den Mann zu verweisen, die Frauen müssen dann ganz aus der Familie raus“, weiß die Beraterin.

 Kripo-Chef  Stephan Becker ist besorgt.

Kripo-Chef  Stephan Becker ist besorgt.

Foto: Matzerath, Ralph (rm-)

Bei der Betreuung von Frauen gibt es in Leverkusen inzwischen ein dichtes Netz. Jedes halbe Jahr trifft sich  ein runder Tisch unter anderem mit Vertretern von Frauenberatungsstelle, Frauenbüro, Frauenhaus, Opferschutzbeauftragten der Polizei und der Wohlfahrtsverbände. „Was noch fehlt, ist die Täterarbeit“, sagt Meinekat.

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