Forschung bei Covestro Wie aus CO2 eine Matratze wird

Bei Covestro wird geforscht, wie das Treibhausgas als Rohstoff genutzt und so der Erdölverbrauch gesenkt werden kann.

 Beim deutschen Zukunftspreis erreichte Covestro mit seiner CO 2 -Forschung die Endrunde.  Darüber freuten sich mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2.v.l.) Berit Stange, Walter Leitner und  Christoph Gürtler gemeinsam mit Sucheta Govil und Markus Steilemann.

Beim deutschen Zukunftspreis erreichte Covestro mit seiner CO 2 -Forschung die Endrunde.  Darüber freuten sich mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2.v.l.) Berit Stange, Walter Leitner und  Christoph Gürtler gemeinsam mit Sucheta Govil und Markus Steilemann.

Foto: Covestro

Das Wort träge bekommt im Büro von Michael Traving eine ganz neue Bedeutung. Eine Reihe verschlossener, ummantelter und mit klarer Flüssigkeit gefüllter Gläschen steht nebeneinander. Alles sieht aus wie Wasser, dann dreht Michael Traving die Gläserreihe auf die Seite. Alle Gläseröffnungen zeigen nach rechts. Im oberen Gläschen macht sich die Flüssigkeit sofort auf den Weg in die Waagerechte. In den mittleren mit mehr oder minder gemächlichem Tempo. Im untersten der Gläser denkt die Flüssigkeit nicht mal daran, sich zu bewegen. Der Inhalt des untersten Glases besteht zum allergrößten Teil aus Kohlendioxid (CO2). Die Flüssigkeit ist extrem träge.

Dass Traving die Gläser vorholt, hat einen Grund: Damit „bebildert“ er die Theorie, die Christoph Gürtler zum Thema CO2 als Rohstoff, etwa in Matratzen, parat hat. Es geht um die Frage, warum Covestro den fossilen Rohstoff Erdöl in seinem Vorprodukt für Polyurethan-Schaumstoff nicht gleich zu 100 Prozent durch CO2 ersetzt, sondern nur zu 20 Prozent. „Wenn zu viel CO2 beigemischt wird, dann wird das ganze zähflüssig wie Honig“, sagt Traving. Gürtler ergänzt: „Anders gesagt, würden wir noch mehr CO2 beigeben, dann würde die Matratzen nicht mehr die Eigenschaften haben, die wir von Matratzen im Allgemeinen erwarten.“

 So könnte das Treibhausgas künftig genutzt werden und so die Umwelt entlastet werden.

So könnte das Treibhausgas künftig genutzt werden und so die Umwelt entlastet werden.

Foto: Covestro

Das Treibhausgas CO2 als Rohstoff, das ist Gürtlers und Travings Thema. Und eine „uralte Idee der Chemie“, berichtet Chemiker Gürtler. Er saß kürzlich neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf der Bühne bei der Verleihung des Zukunftspreises des Bundespräsidenten. Covestro hatte es unter die letzten drei Bewerber geschafft. Ingenieur Traving saß im Publikum. Gewonnen hat ein anderes Unternehmen. Dass es Covestro aber gelungen ist, aus CO2 einen Rohstoff zu machen, und den Prozess soweit entwickelt hat, dass im industriellen Maßstab produziert werden kann, das wissen seit der TV-Ausstrahlung der Verleihung nun Menschen bundesweit.

Die uralte Idee der Chemie ist Realität geworden. An ihr haben sich in der Vergangenheit andere die Zähne ausgebissen. „In den 1960er Jahren  gab es Versuche, die gescheitert sind, in den 1980ern gelang es besser, aber war industriell nicht umsetzbar“, führt Gürtler aus, der die Forschungs- und Produktentwicklungsgruppe leitet, die sich intensiv mit dem Thema befasst.

Namhafte Chemiekonzerne haben sich immer wieder an dem Thema versucht, eben auch Bayer, genauer gesagt Bayers Kunststoffsparte BMS, das heutige Covestro. Die dazugehörigen Forschungs- und Entwicklungsprojekte taufte BMS auf die Namen „Dream Reaction“ und „Dream Production“, angelehnt an den großen Traum der Chemie, das Treibhausgas zum Rohstoff zu machen, und arbeitet unter anderem mit Fachleuten der RWTH Aachen zusammen.

2008 kam der Durchbruch im Labor. Der Katalysator, der dem trägen CO2 zur Reaktion verhilft, ist gefunden. „Aber es ist eine Mär zu glauben, damit wäre es getan“, mahnt Christoph Gürtler. Man habe grob gewusst, wie so ein Katalysator aussieht. Was folgte, um die richtige „Aufbereitung“ des Katalysators zu finden: Versuche, Modelle, Diskussionen, jede Menge Kaffee. Die Kaffeemaschine von damals steht heute noch in Travings Büro.

Unweit dessen steht die Pilotanlage, von grünem Licht in Szene gesetzt sind Kessel, Leitungen und Ventile. Und während der Betriebsleiter des Destillationstechnikums womöglich jedem sein Kaffeerezept verraten würde, Details zum CO2-Katalysator gibt es aus seinem Munde nicht. Die High-Tech-Anlage diene weiterhin dem Forschen, dem Testen von Materialien und Stoffen, die vielleicht erst in fünf Jahren auf den Markt kämen, verdeutlichen Traving und Gürtler.

Das Kohlendioxid für die Pilotanlage muss Covestro sich anliefern lassen. Das für die große Anlage in Dormagen, die im industriellen Maßstab das Vorprodukt für Polyurethan-Schaumstoff mit 20 Prozent CO2-Anteil herstellt, kommt praktischerweise direkt von nebenan als Abfallprodukt einer anderen Produktionsanlage im dortigen Chempark. Bis zu 5000 Tonnen  pro Jahr können in Dormagen hergestellt werden.

Interessenten gibt es genug. Auf dem Markt sind bereits Schaumstoffmatratzen mit CO2-Anteil – Dream Reaction, Traum-Reaktion, ganz wörtlich. Aber auch Socken könnten demnächst zum Teil aus dem Treibhausgas sein. „Socken, das habe ich gelernt, bestehen meist aus Mischgewebe. Wären sie nur aus Baumwolle, leierten sie schnell aus, also sind elastische Fäden eingearbeitet, damit die Socken formstabil bleiben“, sagt Christoph Gürtler. Letztere könnten demnächst ebenso CO2 als Rohstoff in sich tragen wie medizinische Kompressen und andere Textilien. Und das Treibhausgas als Rohstoff könnte künftig auch anderswo zu finden sein: in Dichtungen, in Kunstrasen, in Tartanbahnen auf Sportplätzen, in Spotschuhen. Der Konzern arbeitet mit verschiedenen Herstellern in den Bereichen bereits zusammen. Namen nennen dürfen die beiden Männer noch nicht.

Mit der Erforschung der Anwendungsmöglichkeiten verbunden sieht Covestro ein größerer Ziel: „Design for Recycling, das wird kommen“, betont Chemiker Gürtler. „CO2 wieder in den Stoffkreislauf zurückzugeben, das macht  die Natur jeden Tag. Dahin müssen wir auch: Alles so gut es geht wieder in einen Kreislauf zu bringen und so mit so wenig fossilen Rohstoffen wie möglich auszukommen, vielleicht auch ganz ohne. Das ist die Vision.“ Bis es soweit ist, werden Gürtler und sein Team wieder viel Kaffee trinken und bei Michael Traving testen.

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