Leverkusen Lebensgefährlicher Stich war Notwehr

Leverkusen · OPLADEN/KÖLN Mehr als anderthalb Jahre liegt der Konflikt zurück. Aber Entspannung ist zwischen den Kontrahenten nicht eingetreten. "Ich hör' nicht mehr zu. Der wollte mich umbringen", ruft der 19-Jährige in die Urteilsverkündung hinein. Bis dahin hat er mit Gestik und Mimik längst deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er mit dem Strafmaß für den 38-jährigen Angeklagten nicht einverstanden ist.

Messer in den Rücken gerammt

Der erhielt gestern zwei Jahre mit Bewährung wegen fahrlässiger Körperverletzung, weil er dem 19-Jährigen Ostern 2008 ein Messer in den Rücken gerammt hatte. Eingebettet war der Stich in einen wilden Streit in der Opladener Neustadt. Dort wollten die beiden einen Streit von Familienangehörigen auf eigene Faust klären und scharten dazu jeweils Schlägertrupps um sich. Der 19-Jährige schlug wohl zuerst zu – mit einem Holzknüppel. Daraufhin griff der 38-Jährige zum Messer und ging im Anschluss weiter gegen sein bereits lebensgefährlich verwundetes und am Boden liegendes Gegenüber vor. Der an Lunge und einer Hauptschlagader Verletzte überlebte dank einer raschen Operation im Klinikum, sein Anwalt forderte "mindestens fünf Jahre Haft".

Richterin Sylvia Sella-Geusen begründete ihre vermeintlich milde Strafe: Sie bewertet das Vorgehen des 38-Jährigen als Notwehr. Als Reaktion auf die Attacke mit dem Knüppel sei der Stich in den Oberkörper gerechtfertigt gewesen, um den Angriff "unverzüglich und endgültig" zu stoppen.

"Vom Boden aus zugeschlagen"

Auch die weiteren Stiche hätten der Verteidigung gedient, weil der 19-Jährige vom Boden aus weiter zugeschlagen habe.

Augenscheinlich sieht die Vorsitzende das größere Verschulden in der Auseinandersetzung beim 19-Jährigen (der bei der Polizei als Intensivtäter geführt wird und derzeit im Gefängnis sitzt). Zwar verurteilte sie den (ebenfalls vorbestraften) 38-Jährigen, 3000 Euro an seinen Gegner zu zahlen. Sie verfügte aber auch, dass die Kosten des zu erwartenden Zivilprozesses ums Schmerzensgeld zu zwei Dritteln vom 19-Jährigen getragen werden müssen. Selbst wollten die Richter sich nicht auf die Höhe einer solchen Zahlung festlegen, weil erst mögliche Langzeitfolgen der Verletzung ermittelt werden müssten. Die Schmerzensgeld-Forderung sei aber im Grunde "gerechtfertigt".

Am Rande des Urteils verkündete die Richterin ihre Sorge vor weiteren Eskalationen: Das Auftreten der weiteren Streitbeteiligten und ihre mitunter "dummdreisten Aussagen" hätten belegt, dass sich an deren Einstellung zu Gewalt nichts geändert habe. Eine "nächste Katastrophe" sei nicht auszuschließen. Der Anwalt des 19-Jährigen kündigte Schritte gegen das Urteil an.

(RP)
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