Westdeutsche Sinfonia mit Andrej Bielow Musikalische Gratwanderung

Leverkusen · Tschaikowskys „stinkendes“ Konzert für Violine und Orchester präsentiert mit fulminantem Wohlgeruch.

 Geiger Andrej Bielow spielte mit der Westdeutschen Sinfonia und erklärte das Stück . 

Geiger Andrej Bielow spielte mit der Westdeutschen Sinfonia und erklärte das Stück . 

Foto: Marco Borggreve

Heute ist Pjotr Tschaikowskys Konzert für Violine und Orchester ausgesprochen beliebt. Für Geiger gehört die Solopartie, die einst als „unspielbar“ galt, zu den vier wichtigsten Referenzstücken überhaupt, erzählte Andrej Bielow bei der Einführungsmatinee am 3. Klassik-Sonntag der Saison. Am Abend spielte er diesen Part, begleitet von der Westdeutschen Sinfonia Leverkusen im Forum-Konzert.

Nach der Wiener Uraufführung wurde es zerrissen. Unter anderem vom renommierten Musikkritiker Eduard Hanslick, der sich fragte: „ob es nicht Musikstücke geben könnte, die man stinken hört“. Im Gespräch mit Dirigent Dirk Joeres und KSL-Musikdramaturgin Birgitta Franzen versuchte der Geiger eine Erklärung.

Verwirrt haben könnte die ungewohnte Fülle der kleinen verknüpften Motive, was Bielow so erklärt: „Tschaikowsky war ein Komponist der Durchführung.“ Vor allem aber sei die Interpretation der Partie eine Gratwanderung. „Mit zu viel Gefühl und Vibrato kann es manieriert wirken.“ Vermutlich wurde das Solo mit zu viel „russischer Seele“ vorgetragen, und das konnte beim Wiener Publikum nicht ankommen.

Andrej Bielow hat für sich die richtige Mixtur von Emotion und kühler, technischer Perfektion ausgelotet, um solche Ausrutscher zu vermeiden. Sehr zur Freude des Publikums, das nach seiner fulminanten Partie beim abendlichen Auftritt völlig aus dem Häuschen war. Wer schon am Vormittag im Schloss dabei war, konnte auch den sympathischen und mitteilsamen Menschen kennenlernen, etwas von seinen Beweggründen erfahren, außerdem eine Vorstellung von Aufbau, Entstehung und Besonderheiten bekommen. Auch von dem kleinen und kunstvollen Stück, mit dem das Orchester den Konzertabend so illustrativ eröffnete, und dessen Programm der Komponist der „Steppenskizze in Mittelasien“ ganz genau beschrieben hatte.

Joeres würdigte die Qualitäten des Hobbymusikers Alexander Borodin, der im Hauptberuf Chemiker und Chirurg war. „Heute wünscht man sich ja eine stärkere Spezialisierung“, sagte Birgitta Franzen schmunzelnd und stellte kurz die vier Kollegen Borodins vor, die sich „das mächtige Häuflein“ nannten und sich für mehr Einbeziehung russischer Volksmusik statt der großen Sinfonik nach Vorbild der westlichen Klassiker einsetzten, der sich Tschaikowsky jedenfalls formal angeschlossen hatte.

Im zweiten Teil des Konzertprogramms stand Robert Schumanns Sinfonie Nr. 2, jenes Werk, das 1845/46 entstanden ist – nach dunklen Monaten mit ersten heftigen Schüben von Depressionen und Halluzinationen, jener Krankheit, an der er zehn Jahre später gestorben ist. Mit einer kleinen Romanze stimmten WSL-Oboistin Gisela Hellrung und Dirk Joeres das Matinee-Publikum auf den sanften, sinnlichen Schumann ein. Der 2. Sinfonie hingegen hört man das persönliche Ringen eines Menschen an, der von Dunkelheit umfangen ist. Ein Ringen, das schon an der Formung des ersten Themas deutlich wird, wie anhand von eingespielten Passagen deutlich wurde.

Die Reihe geht weiter: Beim 4. Klassik-Sonntag der Saison am 22. März werden Haydn und Mozart Werken Griegs und Prokofjews gegenübergestellt.

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