Chef-Infektiologe am Klinikum Leverkusen „Corona-Pandemie beeinflusst auch Verbreitung von Tuberkulose“

Leverkusen · Der Chef-Infektiologe des Klinikums Leverkusen, Stefan Reuter, sieht gegenläufige Wirkungen der Corona-Seuche auf das Vorkommen der Lungenkrankheit. Einerseits könnten Tuberkulose-Fälle später entdeckt werden, andererseits könnte die Zahl der Übertragungen durch die Schutzmaßnahmen in der Pandemie zurückgegangen sein.

 Stefan Reuter ist Direktor der Medizinischen Klinik 4 und Chef-Infektiologe des Klinikums

Stefan Reuter ist Direktor der Medizinischen Klinik 4 und Chef-Infektiologe des Klinikums

Foto: Klinikum Leverkusen

Die Tuberkulose ist die weltweit häufigste und tödlichste Infektionskrankheit. Der Welt-Tuberkulose-Tag am 24. März erinnert jährlich daran. Auch in Leverkusen kommt es immer wieder zu Tuberkulose-Fällen, die unter anderem auch im Klinikum behandelt werden. Stefan Reuter, Direktor der Medizinischen Klinik 4 und Chef-Infektiologe des Klinikums, beantwortet alle Fragen rund um Tuberkulose und den Einfluss der Corona-Pandemie darauf.

Wie steckt man sich mit Tuberkulose an?

Stefan Reuter Eine Tuberkulose wird für Andere gefährlich, wenn Bakterien ausgehustet werden, man spricht hierbei von „offener Tuberkulose“. Über das Anhusten einer anderen Person können die Bakterien dann direkt von Mensch zu Mensch über die Luft übertragen werden. Im schlimmsten Fall kann es zu Ausbrüchen kommen, bei denen mehrere Menschen betroffen sind. Bei offener Tuberkulose ist daher die Unterbringung und Behandlung auf der Isolierstation erforderlich. Zur Vermeidung der Übertragung werden erkrankte Patienten mit einer offenen Lungentuberkulose im Klinikum Leverkusen auf der Infektionsstation isoliert.

Wie bemerke ich eine Erkrankung an Tuberkulose?

Reuter Typische Krankheitszeichen sind Husten, Fieber, nächtliches Schwitzen sowie Verlust von Appetit und Gewicht. Früher wurde die Krankheit daher auch „Schwindsucht“ genannt, da Patienten deutlich Gewicht verlieren können und dann ausgezehrt wirken. Wenn andere Organe als die Lunge betroffen sind, kann sich die Krankheit sehr unterschiedlich äußern.

Wer ist am häufigsten betroffen?

Reuter Personen können in jedem Lebensalter betroffen sein, wobei sich ein Häufigkeitsgipfel im jungen Erwachsenenalter findet und dann wieder bei älteren Senioren über 80 Jahre. Männer sind fast doppelt so häufig betroffen wie Frauen. In Stadtkreisen kommt die Tuberkulose häufiger vor als auf dem Land.

Welchen Einfluss nimmt die Corona-Pandemie auf das Tuberkulose Geschehen?

Reuter Es muss befürchtet werden, dass durch Lockdown und Abschottung Tuberkulosefälle seltener erkannt wurden und in der Folge die Krankheit verschleppt wird. Die Folge wäre eine höhere Ansteckungsgefahr und schwerere Verläufe. Die Situation ist derzeit noch schwer einzuschätzen. Durch verstärkte Schutzmaßnahmen und Einhaltung von Abstandsregeln könnte gleichzeitig die Zahl der Übertragungen zurückgegangen sein, wie das zum Beispiel bei der geringeren Verbreitung der Grippe eingetreten ist. Die genauen Auswirkungen der Pandemie auf die Entwicklung der Tuberkuloseerkrankungen bleiben daher noch abzuwarten.

Inwiefern ist Tuberkulose mit einer Grippe zu vergleichen?

Reuter Die Tuberkulose ist eine andere Art von Erkrankung als die Grippe, da sie nach der Ansteckung nicht direkt weitergegeben wird. Wenn ein Mensch sich erstmals infiziert, bricht meist keine Krankheit aus. Vielmehr werden die Tuberkulosebakterien vom Immunsystem gefangen, sie werden sozusagen von Abwehrzellen ummauert und hierdurch kontrolliert. Erst deutlich später, oftmals nach Jahren oder Jahrzehnten, kommt es dann zur eigentlichen Krankheit, wenn das Immunsystem geschwächt ist oder besondere Stressfaktoren wirken.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es gegen die Tuberkulose?

Reuter Durch eine Kombination aus mehreren Medikamenten kann die Erkrankung meist ausgeheilt werden. Die Behandlung ist allerdings langwierig und dauert mindestens ein halbes Jahr. Hierbei müssen durchschnittlich zehn Tabletten pro Tag eingenommen werden. Große Sorge bereiten aber zunehmende Resistenzen. Besonders wenn die Tuberkulose im Ausland erworben wurde, stehen die Behandlungschancen schlechter, weil Resistenzen vorliegen können. Dann müssen nicht selten auch Infusionen eingesetzt oder Reservemedikamente angewendet werden.

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