Thommie Bayer im Interview "Ich bin diszipliniert, nicht ergebnisfixiert"

Leverkusen · Am Samstag beginnt die neunte Leverkusener Buchwoche "Levliest" - eröffnet wird sie von Autor Thommie Bayer, Er tut dann das, was seiner Meinung nach das Tor zu den Abenteuern zwischen zwei Buchdeckeln bedeutet: Vorlesen.

 Peter Peitsch / peitschphoto.com

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Foto: Peter Peitsch / peitschphoto.com

Am eigenen Geburtstag, es ist der 64., statt Torte und Kaffee mit der Familie im Schwarzwald lieber zur Eröffnung der Leverkusener Buchwoche Levliest...

Thommie Bayer (lacht) Was soll ich sagen: Ich bin jung und brauche das Geld. Aber mal ehrlich, ich bin nicht so der Geburtstagsfeierer. Ich habe meine Frau gefragt, ob ich fahren kann. Sie hat Ja gesagt.

Und bis dahin lutschen Sie fleißig Halsbonbons, damit die Stimme nicht versagt?

Bayer Nein, für ein Stündchen wird das gehen. Ich hoffe sogar, dass sie ein bisschen kratzig ist, dann klinge ich wie Serge Gainsbourg. So wünsche ich mir das jedenfalls immer.

Mit kratziger oder normaler Stimme werden Sie aus Ihrem jüngsten Werk "Seltene Affären" lesen. Es geht um einen Mann, der ein Doppelleben führt. Wie oder besser gefragt wo fallen einem solche Geschichten ein?

Bayer Früher dachte ich immer, ich bräuchte den Wirbel um mich, um Geschichten zu finden. Was soll ich in der Stille? Das habe ich mich damals gefragt. Und irgendwann festgestellt, dass das mit dem Wirbel gar nicht stimmt. Heute liebe ich die Ruhe. Wahrscheinlich ist das wie mit dem Sinn für Schönheit, der einem erst nach und nach zuwächst.

Und aus der Ruhe ziehen Sie die Inspiration für Ihr Schreiben?

Bayer Der kleine Ort, in dem ich im am Rand des Schwarzwalds wohne, unterhalb der Burg, Hanglage, hat eine gute Wirkung, gibt Trost, gibt Streicheleinheiten. Ich gucke vom Fenster vor meinem Schreibtisch 35 Kilometer geradeaus über das Rheintal nach Frankreich in die Vogesen, an guten Tagen 55 Kilometer weit. Da kommt schon der ein oder andere Einfall her. Aber die wirkliche Inspiration kommt aus der Bewegung, aus Leuten, die ich irgendwo vorbeigehen sehe oder denen ich begegne, aus Filmen.

Dann setzen Sie sich an Ihren Schreibtisch vor dem Fenster mit Blick nach Frankreich und schreiben?

Bayer Ich sitze jeden Tag da. Cappuccino-Standleitung. Manchmal kommt nur eine halbe Seite raus, manchmal mehr, manchmal nichts. Das ist der Tagesform überlassen. An manchen Tagen mache ich auch mal nur die E-Mails, bin bei Facebook, spiele dummes Zeug am Rechner. Ich würde sagen, ich bin diszipliniert, aber nicht ergebnisfixiert.

Ihre Ergebnisse in der Vergangenheit waren ziemlich erfolgreich. Der Roman "Andrea und Marie" ist mit Hannelore Elsner und Iris Berben gar verfilmt worden. Baut man sich an schlechten Tagen über diese Erfolge wieder auf?

Bayer Nein. Vergangene Erfolge sind in der Gegenwart nicht mehr toll. Das ist nichts, wovon man zehren kann. Ich habe ja früher auch viel Musik gemacht. Wenn jemand auf mich zukommt und sagt, dass er die Musik schön findet, freut mich das. Aber wirklich nahrhaft sind nur die Träume, die man noch hat.

Nämlich?

Bayer Ich möchte auf jeden Fall ein bevölkerungsreiches Buch schreiben - also mit einigen Protagonisten. Ich möchte eine Mutter-Sohn-Geschichte schreiben. Ach, ich möchte überhaupt noch viele Bücher schreiben. Aber ich will dabei auch bei meinem Leisten bleiben.

Das heißt, Romane schreiben?

Bayer Ja. Wenn ich einem Krimi schreiben sollte, das würde ich hinkriegen vom Stil her, vom Handwerk. Aber ich täte es nicht mit Leidenschaft. Es wäre dann einfach wie eine riesige Hausaufgabe, die man abarbeitet. Im engeren Sinne schreibe ich eigentlich auch keine Romane, sondern lange Erzählungen.

Was unterscheidet die von einem Roman?

Bayer Nach der klassischen Definition von Roman ist dieser immer multiperspektivisch, geht an ein Thema aus verschiedenen Richtungen ran. Aber heute wird ja das Allermeiste, was geschrieben wird, als Roman verkauft. Auch wenn es zum Beispiel nur einen Ich-Erzähler gibt.

Welches Genre lesen Sie selbst denn gerne?

Bayer (lacht) Romane. Es gibt zurzeit ein paar richtig gute Autoren aus England, Amerika, Italien, Deutschland, erstaunlicherweise wenige aus Frankreich, finde ich.

Was war das beste Buch eines deutschen Autors, das Sie in der letzten Zeit gelesen haben?

Bayer Das ist einfach. "Ab heute heiße ich Margo" von Cora Stephan. Klasse Buch. Toll. Kann ich jedem nur empfehlen. Eine Geschichte über zwei Frauen, die sich in den 1930er Jahren begegnen.

Sie haben mal gesagt, dass Sie als Kind schon entdeckt haben, welche tollen Abenteuer zwischen zwei Buchdeckeln möglich sind. Wie kam das?

Bayer Mein Vater hat tolle Sachen vorgelesen. Gottfried Keller zum Beispiel. Damals ging es mir dabei nur ums Drama. Dass das auch gute Sprache ist, habe ich erst 30 Jahre später entdeckt. In meiner Kindheit und Jugend hatte ich eine wilde Leidenschaft für Karl May. Heute kann ich das überhaupt nicht mehr verstehen, weil es mir wie sprachlicher Matsch mit Langeweile vorkommt. So ändert sich der Geschmack.

Was ist also für Sie der Schlüssel zum Tor in die Welt der Bücher?

Bayer Wenn die Eltern ihren Kindern schon früh viel vorlesen. Ja, ich denke, genau das ist es.

(RP)
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