Leverkusen Gewalt gegen ältere Ehefrauen nimmt zu

Leverkusen · Die Frauenberatungsstelle in Opladen verzeichnet zunehmend Hilfesuchende im Alter von über 60. Runder Tisch plant Aktion.

Emma Sulkowicz protestiert mit einer Matratze gegen sexuelle Gewalt
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Es war kurz vor dem Ende der Öffnungszeit, als die alte Dame vorsichtig durch die Eingangstür der Frauenberatungsstelle an der Birkenbergstraße spähte und fragte: "Bin ich hier richtig?" "Hoch verunsichert" sei die Seniorin gewesen, erinnert sich Karin Lenz: "Sie hielt sich wie eine Ertrinkende an ihrer Handtasche fest und wollte erst nicht mit der Sprache heraus."

Spätestens da war der erfahrenen Sozialpädagogin und Trauma-Fachberaterin klar: wieder ein Opfer von häuslicher Gewalt in der Ehe, nur mit einem wesentlichen Unterschied - die Dame war bereits über 70 Jahre alt. "Das Ehepaar hatte kurz zuvor noch Goldhochzeit gefeiert, aber erst jetzt fand die Frau den Mut, sich uns mitzuteilen", berichtet Karin Lenz, die solche Szenen immer öfter erlebt.

Allein über den Notruf des Polizeipräsidiums wurden im ersten Halbjahr 2014 bereits 75 Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen waren, an die Frauenberatungsstelle in der Birkenbergstraße übermittelt. Binnen eines Jahres stieg die Zahl der Beratungsfälle von 405 auf 706.

Etwa ein Drittel der Ratsuchenden seien inzwischen Senioren, schätzt Lenz, die noch keine detaillierte statistische Auswertung vorgenommen hat. "Und die Dunkelziffer liegt noch weit höher." Zumal der Begriff Gewalt keineswegs immer nur körperlich zu verstehen sei. Nicht selten ertragen die Frauen bereits seit Jahrzehnten ihre Situation, immer unter der Prämisse, dass die Nachbarn und Freunde nichts mitbekommen. Dann sind irgendwann die Kinder aus dem Haus, der Mann wird pensioniert - und der Druck derart unerträglich, dass die Opfer erstmals tatsächlich Hilfe suchen.

"Wer zu uns kommt, hat den wichtigsten Schritt schon getan: sich mitzuteilen", sagt Karin Lenz, die 62 Jahre alt ist und angesichts ihrer Berufs- und Lebenserfahrung vor allem die älteren Hilfesuchenden betreut. "Wir beraten nicht mit dem Ziel, Trennung oder gar Scheidung herbeizuführen", betont sie.

Es gebe natürlich Fälle, in denen es darauf hinauslaufe. Manchmal genüge es aber schon, die Frauen so zu stärken, dass sie in der Ehe ein emanzipierteres Leben führen: "Sei es, dass sie wieder einen Chor besuchen, alte Freundschaften wiederbeleben oder sich auf andere Art und Weise Freiräume verschaffen."

Immer öfter spielt auch Pflegebedürftigkeit eine Rolle. "Da arbeiten wir eng mit den Pflegediensten zusammen", sagt die Beraterin. "Es kann zu schlimmen Zuspitzungen kommen - etwa wenn der pflegebedürftige Ehemann auch noch am Alkohol hängt."

Wer die Beratungsstelle kontaktiert, hat für die Erstberatung eine Stunde Zeit. Bis zu zehn Gespräche können folgen, allesamt kostenfrei.

Gabriele Lenz und ihre Mitstreiterinnen wollen gerade den Älteren die Scheu nehmen, sich zu melden. Und auch der Runde Tisch bei der Stadt, dem neben Polizei auch Wohlfahrtsverbände und Hilfsorganisationen angehören, erwägt der Frauenberaterin zufolge eine Info-Kampagne zum Thema aufzulegen.

"Gewalt ist keine Frage des Alters oder Einkommens", sagt Gabriele Lenz. So gelte auch für alle: "Wichtig ist, zu wissen, wo es Hilfe gibt."

(RP)
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