Leverkusen Flüchtlingsfamilie im Pfarrhaus

Leverkusen/Kabul · Mehrere Menschen aus Afghanistan sind bei einem Pfarrer in Leverkusen untergekommen. Die Familie wurde von Taliban verfolgt, weil zwei Söhne in Diensten der Nato-Truppen waren. Viele helfen ihnen, andere feinden sie an.

 Zwei Familien aus Afghanistan teilen sich das evangelische Pfarrhaus in Leverkusen-Schlebusch, das länger leergestanden hatte. Dort versuchen sie jetzt, so normal wie möglich zu leben.

Zwei Familien aus Afghanistan teilen sich das evangelische Pfarrhaus in Leverkusen-Schlebusch, das länger leergestanden hatte. Dort versuchen sie jetzt, so normal wie möglich zu leben.

Foto: Uwe Miserius

Die Nachrichten, die Flüchtling Mohammad Naim aus Afghanistan hört, erschrecken und bestätigen ihn: "15 Tote und 38 Verletzte bei einem Sprengstoffattentat im Norden von Afghanistan", meldet die Presse. "Die Taliban weiten ihre Angriffe auf einheimisches Militär und Polizei aus." Mohammad sagt: "Es ist schlimmer als vor dem Krieg."

Zwölf Mitglieder seiner Familien sind im Mai nach Leverkusen gekommen. Er war einige Monate vorher geflohen. Die neun Kinder, darunter ein Zweijähriger, und vier Erwachsene sind in einem leerstehenden evangelischen Pfarrhaus in Leverkusen-Schlebusch untergekommen. Mittlerweile ist eine weitere Familie aus Afghanistan dort eingezogen: Vater, Mutter und Kind - ein weiteres ist unterwegs.

Mohammed, mit 29 Jahren schon das Familienoberhaupt, hat schnell begonnen, Deutsch zu lernen, und ist mittlerweile aus dem Pfarrhaus in eine eigene Wohnung gezogen.

Seine Familie hat fast alles in der Heimat zurückgelassen: Verwandte, Freunde, ein gutes Auskommen und vor allem Bildungsmöglichkeiten. Einer der Brüder hatte soeben mit dem Studium begonnen. Und Mohammad sowie ein zweiter Bruder hatten einen guten Posten bei den ISAF-Truppen - solange es die gab. 2014 wurde die International Security Assistance Force (ISAF) aufgelöst. Und sofort begann für die Familie die Verfolgung durch die Taliban, die Angst um Leib und Leben: "Meine Mutter hat die ständige Angst nicht mehr ausgehalten, sie ist krank geworden und wollte uns Kinder nur noch in Sicherheit bringen", sagt Mohammad, der wie sein Bruder im Wortsinne in die Schusslinie der Taliban geriet.

Denn als ehemalige ISAF-Angehörige galten sie in den Augen der Taliban als Kollaborateure der feindlichen Invasion: "Die Taliban waren auch nie wirklich weg", sagt der junge Mann aus Kabul. "Nach dem Abzug der Nato-Truppen haben sie fast alles, was wir aufgebaut hatten, wieder zerstört", beklagt Mohammad, der beim Aufbau einer einheimischen Polizei in den Dörfern geholfen hat.

So etwas wie Frieden haben sie in Leverkusen nun gefunden, die Sorge um die daheim Gebliebenen besteht aber fort. Denn Mohammad und seine Familie verfolgen per Skype, wie sich die politische Lage in Afghanistan sogar noch weiter zuspitzt. Sie müssen erfahren, dass Taliban und IS jetzt sogar darum wetteifern, wer die Macht über das Land gewinnt.

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Foto: Köhlen, Stephan (TEPH)

Das sind die Momente, in denen sich die Familie bestätigt fühlt, es mit ihrer Flucht richtig gemacht zu haben. Mohammads Familie hat wegen ihrer politischen Gefährdung in ihrer Heimat Hilfe vom deutschen Außenministerium mitsamt Visa und Direktflug nach Deutschland erhalten.

Willkommenskultur versus Fremdenhass

Doch bis sie in Leverkusen oder einer anderen deutschen Stadt auch wirklich eine neue Heimat gefunden haben, muss noch einiges geschehen. Zwar sind die Menschen aus Afghanistan sofort in Schlebusch willkommen geheißen worden. Die Kirchengemeinde bot das leerstehende Pfarrhaus an. 40 ehrenamtliche Helfer drängten sich nur so, die Flüchtlingsfamilie zu unterstützen.

Ein örtlicher Verein nahm einen der Brüder in seine Fußballmannschaft auf, eine Sonderschulpädagogin unterrichtet die Familie in der deutschen Sprache. Eine weitere Frau ist als ehrenamtliche Deutschlehrerin hinzugekommen. Und die afghanische Familie versucht darüber hinaus, übers Internet Deutsch zu lernen. Besonders emsig versucht die 52-jährige, verwitwete Mutter von Mohammed Deutsch mit Hilfe eines Farben- und Zahlenspieles zu lernen.

Doch die "Willkommenskultur" ist nur die eine Seite der Medaille in Leverkusen: Auch dort gibt es latenten und offenen Fremdenhass. Nicht überall sind Flüchtlinge willkommen. Manche berichten, dass sie an Bushaltestellen stehengelassen werden. Gegen den Bau einer Landes-Flüchtlingsunterkunft in Leverkusen-Rheindorf hat Pro NRW eine Demonstration angemeldet.

Auf der anderen Seite bemühen sich Stadt, Kirchen, Caritas, Moscheen, Integrationsrat und viele mehr, die Flüchtlinge zu integrieren. In Leverkusener Schulen sind internationale Klassen zur Sprachförderung von der Grundschule bis zum Berufskolleg bereits Standard. Die deutsche Sprache ist das A und O für die zwölf Kabul-Flüchtlinge in Schlebusch. "Beim Einkaufen richteten wir uns zuerst nur nach den Bildern auf den Verpackungen. Doch jetzt wissen wir auch, was drin ist", sagt der 29-Jährige, der sich darüber freut, in Deutschland bleiben zu können: "Wir haben schon alle unsere Pässe bekommen."

(RP)
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