Schiedsfrau Ilse Stibbe Es gibt nichts, worum nicht gestritten wird

Leverkusen · Gerade im Sommer kommt es häufig zu Streit zwischen Nachbarn. Dann versuchen Schiedspersonen zu schlichten.

Heute und morgen findet in Leverkusen ein Lehrgang des Bundes Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen (BDS) zum Thema Nachbarschaftsrecht statt. Schiedspersonen versuchen, Streits zu schlichten, so dass sie nicht vor Gericht landen. Ilse Stibbe aus Köln ist im Vorstand des BDS und organisiert den Lehrgang, zu dem 42 Schiedspersonen aus ganz Nordrhein-Westfalen ins Best Western Hotel kommen. Im Herbst gibt es noch einen Lehrgang, dann geht es um Zivilrecht. Alle arbeiten ehrenamtlich, egal ob Jurist, Rentner oder Büroangestellter.

Frau Stibbe, worüber streiten sich Nachbarn am meisten?

Stibbe Das kann man so pauschal nicht sagen. Es wird über alles gestritten, es gibt nichts, worum nicht gestritten wird. Bei einer Verhandlung diese Woche wollten Leute einen Gartenzaun machen lassen und haben das Geld vorab an einen Unternehmer gegeben, der dann aber die Arbeit nicht gemacht hat. Jetzt im Sommer gibt es immer Probleme mit dem Grillen, weil die meisten glauben, sie haben das Recht, so oft und so lange zu grillen, wie sie wollen.

Ist das nicht so?

Stibbe Wenn es niemanden stört, kann ich jeden Tag grillen. Wenn es jemanden stört, dann nicht.

Eigentlich versucht man sich ja selbst mit seinen Nachbarn zu einigen, oder? Bei ihnen landen die Fälle, bei denen das nicht möglich war?

Stibbe Es ist heute schwieriger geworden. Ich merke das in den Verhandlungen. Die Leute sagen hinterher: Ja, das hätten wir auch selbst regeln können. Dann sage ich: Ja, wenn sie miteinander gesprochen hätten. Heute kennen die meisten nicht mal ihre Nachbarn im Mehrfamilienhaus. Früher gab es Nachbarschaftshilfe oder einfach Kontakt. Das gibt es heute nicht mehr.

Worauf führen Sie das zurück?

Stibbe Weil in unserer Arbeitswelt mehr Stress herrscht. Die Leute arbeiten viel, und wenn sie nach Hause kommen, muss alles schnell gemacht werden. Früher war alles etwas gemütlicher und ruhiger.

Was raten Sie den Leuten beim Thema Grillen? Soll man möglichst Kompromisse schließen?

Stibbe Ich rate immer: Versuchen Sie, mit den Nachbarn zu sprechen, sagen Sie ihnen, dass sie Gäste bekommen und grillen wollen und hoffen, dass das nicht stört: "Aber Sie sind auch herzlich eingeladen, dazuzukommen." Auch wenn in einem Mehrfamilienhaus gefeiert wird, sollte man vorher Bescheid sagen. Das macht aber so gut wie keiner mehr.

Wieviel Freiheiten hat man denn in seinem eigenen Garten? Darf man etwa Hühner halten?

Stibbe Man darf Hühner halten, aber artgerecht. Wenn es mehrere sind, müssern sie beim Veterinäramt angegeben sein. Und die Hähne müssen eingesperrt sein im Häuschen, das verdunkelt ist, damit sie nicht morgens um 4 Uhr anfangen zu krähen. Wir hatten einen Fall mit einer Frau mit 20 Hühnern und 15 Hähnen. Da kam das Problem dazu, dass Futter ausgestreut wurde und das wiederum Ratten anzog — eine Rattenplage! Es muss gewährleistet sein, dass so etwas nicht passiert.

Was sind noch typische Fälle von Nachbarschaftsstreit? Tatsächlich der Ast, der über den Zaun hängt?

Stibbe Ja, das kommt häufig vor. Auch, wenn Früchte über den Zaun hängen. Die Leute denken, sie dürften sie ernten. Das ist nicht so. Sie dürfen erst aufgehoben werden, wenn sie am Boden liegen.

Wie ist das mit Beleuchtung?

Stibbe Wenn sie so stark ist, dass der Nachbar Probleme hat, weil sie ins Schlafzimmer leuchtet, muss sie weggemacht werden. Es darf kein anderer belästigt werden. Aber man muss sich einigen. Einmal musste nur der Scheinwerfer in eine andere Richtung gedreht werden. Ich sage immer: Es gibt nichts, worüber man sich nicht einigen könnte.

Ein großes Thema ist Lärm?

Stibbe Es gibt keine Mittagsruhe mehr, zumindest abhängig von den Städten: Jede hat ihre eigene Satzung, zum Beispiel auch zum Baumschutz, die ist in Köln anders als in Bergisch Gladbach. Abends darf man nur bis 22 Uhr laut sein.

In wie viel Prozent der Fälle gibt es eine Einigung?

Stibbe Ich habe heute meinen neunten Fall in diesem Jahr. Von den vorherigen acht habe ich sieben mit Vergleich abgeschlossen. Wir haben eine große Vergleichsquote.

Die anderen kämen vor Gericht?

Stibbe Wenn die Betroffenen das möchten, ja. Das ist natürlich auch eine finanzielle Sache. Darüber haben wir keine Kontrolle. Von uns bekommen sie eine Bescheinigung, die sie berechtigt, vor Gericht zu gehen.

Wo erfahre ich, welche Schiedsperson für mich zuständig ist?

Stibbe Das erfährt man im Internet oder bei der Polizei, die haben alle Listen, wer für wen zuständig ist.

MARION MEYER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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