Leverkusen/Wuppertal Domagk - Revolutionär der Heilkunde

Leverkusen/Wuppertal · Am 1. August wird in Wuppertal eine Bronzestatue für den Bayer-Forscher Gerhard Domagk enthüllt. Sie soll an den Mann erinnern, der ein Mittel gegen Infektionserreger fand und den Nobelpreis dafür erst acht Jahre später bekam.

Zwischen der Dhünn- und der Hauptstraße in Wiesdorf gibt es eine kleine Sackgasse, die einen großen Namen trägt: Gerhard Domagk.

Es ist nicht die einzige Straße, die seinen Namen trägt — von Berlin bis zum Schwarzwald gibt's Gerhard-Domagk-Straßen in 20 Städten. Aber wer war der Mann? Die Spur führt von der Wiesdorfer Domagk-Straße südlich — in den Chempark. Genauer gesagt ins Archiv des Bayer-Konzerns. Dort ruht hinter Glas ein dunkler Anzug. Den trug Gerhard Domagk 1947, als ihm der schwedische König den Nobelpreis verlieh. Für eine Erfindung, die dem Mediziner acht Jahre zuvor gelang. Die Spur führt weiter vom Bayer-Archiv im Chempark nach Nord-Osten: Wuppertal.

Nochmal zwölf Jahre zurück. Es ist 1927. Gerhard Domagk ist 31 Jahre alt, hat in Kiel Medizin studiert, unterbrochen vom Einsatz im Ersten Weltkrieg, zum Professor habilitiert und mit der Erforschung von bakteriellen Infektionen begonnen.

Professor Heinrich Hörlein, Leiter der Pharma-Abteilung von Bayer in Elberfeld, ist angetan von dem jungen Mann. Gerade hatte er die Habilitationsschrift Domagks gelesen. Thema: "Die Vernichtung von Infektionserregern durch das Retikuloendothel und die Entstehung des Amyloids". Hörlein will den Mann haben, stellt ihn als Leiter des just geschaffenen Instituts für experimentelle Pathologie in Elberfeld ein.

Domagk hatte im Ersten Weltkrieg viele Verwundete gesehen, die nach gelungener Operation an Infektionen wie Wundbrand starben. Auch in Krankenhäusern war das kaum anders: "Jeder fünfte Todesfall in den Kliniken war auf Infektionen zurückzuführen", berichtet der Bayer-Konzern in einem Artikel über Domagk. Der Mediziner spezialisierte sich auf das, was ihn auch in seiner Habilitation geleitet hat: den Wunsch, Infektionserregern beizukommen.

Fünf Jahre später. Domagk erfindet das Desinfektionsmittel Zephirol, 1934 wird die Lösung patentiert, 1935 kommt sie in den Handel. Gereicht hat das Domagk nicht. Die Lösung ist zur äußerlichen Anwendung geeignet, etwa zu Handdesinfektion, für die innere Anwendung aber nicht. Er will Bakterien auch im Köperinneren bekämpfen können. Während anderswo das Desinfektionsmittel in den Markt eingeführt wird, forscht Domagk weiter, stößt auf Sulfonamide in Azorfarbtoffen, die Streptokokken erfolgreich bekämpfen. 1935 präsentierte Domagk der Medizin die blutrote Arznei Prontosil als Chemotherapeutikum gegen Kokken. Kindbettfieber, eitrige Hirnhautentzündung, Lungenentzündung, Blutvergiftung — das Medikament senkt die Zahl von Todesfällen durch diese Krankheiten drastisch, der Heilerfolg steigt ebenso drastisch an.

1936. Der Sohn von US-Präsident Franklin D. Roosevelt liegt mit schwerer eitriger Nebenhöhleninfektion im Bett. Sein Arzt verabreicht Prontylin, das Bayer gerade mit einer US-Firma auf den amerikanischen Markt brachte. Roosevelt-Junior ist gerettet.

Für die Entdeckung von Prontosil wird Gerhard Domagk — er war längst mit der Erforschung eines Mittelns gegen Tuberkulose beschäftigt — 1939 der Nobelpreis für Medizin zugesprochen. Bekommen hat er ihn nicht. Noch nicht. Hitler hatte die Annahme des Preises verboten. Keine Anerkennung in der Presse, kein bei dem Preis üblicher Vortrag über sein Arbeitsgebiet — stattdessen sperrt ihn die Geheime Staatspolizei (Gestapo) für mehrere Tage ins Gefängnis. Domagks Erfindung aber kann Hitler nicht stoppen, in England erinnern sich Pathologen inspiriert durch Domagks Forschungserfolg an die Entdeckung des Schotten Alexander Fleming — Penizillin. Großbritannien und die USA intensivieren die Forschungsarbeiten an den antibiotisch wirkenden Stoffen — dank Domagks "Revolution in der Heilkunde", wie Bayer notiert.

Acht Jahre später. Domagk trifft 1947 den schwedischen König. Der ihm endlich den Nobelpreis übergeben kann — das damit verbundene Preisgeld bekommt der Wissenschaftler indes nicht mehr.

In der Urkunde heißt es: "Das Königliche Karolinische Medizinische Chirurgische Institut, das gemäß dem Testament des Alfred Nobel vom 27. November 1895 berechtigt ist, den Nobelpreis für die wichtigste Entdeckung zu verleihen, mit welcher die physiologischen und medizinischen Wissenschaften in jüngster Zeit bereichert worden sind, hat mit dem heutigen Tage beschlossen, den Preis für das Jahr 1939 Gerhard Domagk für die Entdeckung der antibakteriellen Wirkung des Prontosils zu verleihen. Stockholm, den 26. Oktober 1939."

66 Jahre nach der Preis-Übergabe. 1. August 2013 in Wuppertal, 12 Uhr. Eine 2,50 Meter hohe Bronzeskulptur wird enthüllt. Just am Firmenjubiläumsdatum — Bayers Geburtsstunde fällt auf den 1. August — wird die Statue vor dem Wuppertaler Zoo aufgestellt. Finanziert hat sie Bayer zu Ehren des Wegbereiters der Antibiotika, geschaffen hat sie der britischstämmige Wuppertaler Bildhauer Tony Cragg. Sie soll "Enthüllung" heißen.

Bayers Vorstandsmitglied für Innovation, Wolfgang Plischke, wird im firmeninternen Mitarbeitermagazin "direkt" so zitiert: "Wir freuen uns sehr, am Firmengeburtstag von Bayer einen Forscher zu ehren, der mit seinen Leistungen für die Innovationskraft des Unternehmens steht."

Wiesdorf. Die Statue für Domagk vor dem Wuppertaler Zoo wird nicht wirklich Einfluss auf die Sackgasse mit seinem Namen zwischen Dhünn- und Hauptstraße haben. Oder das Umfeld. Oder auf Leverkusen. Außer vielleicht diesen: eine Antwort auf die Frage: Wer ist eigentlich dieser Gerhard Domagk, dem nicht nur Leverkusen eine Straße gewidmet hat? Ende der Spurensuche Gerhard Domagk.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort