Ballett Dortmund Rotkäppchen geht der Angst auf den Grund

Leverkusen · Das Dortmunder Ballett lotete beim Tanzabend „Visionen“ menschliche Ängste aus. Ein dreiteiliger Abend mit zwei Uraufführungen.

 Das Ballett Dortmund zeigte „She Wore Red“ mit Jelena Ana Stupar in der Titelrolle. Ein beeindruckendes Stück mit gruseligen Elementen.

Das Ballett Dortmund zeigte „She Wore Red“ mit Jelena Ana Stupar in der Titelrolle. Ein beeindruckendes Stück mit gruseligen Elementen.

Foto: BEttina Stoess/Bettina Stoess

In Zeitlupe schreitet Rotkäppchen mit weit ausholenden Armen über die Bühne. Schwer wie Bewegungen im Wasser scheint der Widerstand der Luft. Das Bild erinnert an Träume, wie sie wohl jeder schon erfahren hat: Angesichts einer lauernden Gefahr kommt man trotz größter Anstrengung kaum vorwärts. Aber die Choreografie „She Wore Red“ von Douglas Lee, die das Dortmunder Ballett als eine von zwei Uraufführungen am dreiteiligen Tanzabend „Visionen“ bei KulturStadtLev im Forum zeigte, ist alles andere als ein erzählendes Märchenballett.

Vielmehr loten die Tänzer in einem kontrastreicher schwarz-weißer Ausstattung aus, was so ängstigt im finsteren Wald, wo die rieselnden Schneeflocken im Lichtkegel zusätzlich das Gefühl der Kälte verstärken. Unheimlich stimmt die Musik von Bernhard Herrmann, der auch schon mit seinen Soundtracks in Hitchcock-Filmen das Gruseln lehrte. Und da lauert auch nicht nur ein Wolf, sondern ein ganzes, äußerst bewegliches Rudel auf dem Weg zur Großmutter.

Die Ästhetik des Tanzes faszinierte und ängstigte zugleich. Ein emotionales Stück. Zugleich – vielleicht nur weil es wegen des Jubiläumsjahres allgegenwärtig ist – ließ die Ausstattung an das Bauhaus denken. Die überdimensionierte rote Kappe, die Rotkäppchen anfangs nur den Blick nach vorne erlaubt, hätte auch aus Schlemmers Triadischem Ballett stammen können. Außerdem wurde mit vielen Ausstattungsstücken wie Wänden oder schlichtes Mobiliar gearbeitet, was im Ballett eher ungewöhnlich ist.

Die Wärme wurde mit dem zweiten neuen Auftragswerk des Balletts Dortmund nachgereicht. Statt weißer Flocken lässt Choreografin Wubkje Kuindersma in ihrem Stück verschwenderisch Gold vom Bühnenhimmel schneien und glitzernde Lichtreflexe mittanzen über der Compagnie, die anfangs wie eine Ansammlung von Statuen in verschiedenen Posen verharrt. Der Titel „Kintsukuroi“ bedeutet „Reparatur mit Gold“ und bezieht sich auf eine japanische Art, zerbrochene Keramik zu flicken und damit noch kostbarer zu machen.

Kostbar wie die organischen Verbindungen und Beziehungen, die Tänzer-Paare immer wieder neu erfinden, bis sie den Bogen zum Beginn schlagen und wieder als eingefrorene Skulpturengruppe zusammen stehen, bis sich der Vorhang schließt.

Nach den beiden sehr unterschiedlichen sinnlichen Choreografien schloss das Dortmunder Gastspiel mit einem wahren Power-Stück von Jacopo Godani. Sein „Moto Perpetuo“ verbindet klassische und neoklassische Technik, von Spitzentanz bis zu Akrobatik. Wobei alles ohne Unterbrechung ineinandergreift und sogar das Publikum am Schluss etwas atemlos zurücklässt.

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