Leichlingen nach dem Hochwasser Wo das Leben jetzt in drei Kisten passt

Leichlingen · Eine halbe Woche nach der Flut wird Leichlinger Betroffenen das Ausmaß der Katastrophe bewusst. Manche von ihnen haben beinahe alles verloren.

  Ein Bild wie aus einem Katastrophenfilm: In Leichlingen-Mitte in den Straßen Am Hüpplingsgraben/Brunnenstraße. 

Ein Bild wie aus einem Katastrophenfilm: In Leichlingen-Mitte in den Straßen Am Hüpplingsgraben/Brunnenstraße. 

Foto: Miserius, Uwe (umi)

 Die Katastrophe, die Uta Sasses Leben in eine völlig verkehrte Welt verwandeln soll, beginnt genau so: verkehrt. „Statt dass das Wasser aus der Dusche fließt, sprudelte es am späten Mittwochabend auf einmal aus dem Abfluss heraus“, sagt die 50-Jährige, als sie ins Badezimmer ihrer Erdgeschosswohnung in der Straße Am Hüpplingsgraben zeigt.

Links neben dem Türrahmen drückt sie auf den Lichtschalter, rein intuitiv, wie tausende Male zuvor. An diesem Montagnachmittag aber bleibt der Raum dunkel, Strom gibt es noch immer nicht. Sasse zeigt auf die Badewanne, „in die meine Tochter und ich noch Eimer voller Wasser kippten“. Was für Außenstehende Tage nach der Katastrophe vielleicht naiv klingen mag, macht für Sasse in der Nacht auf den 15. Juli nur Sinn. Denn dass die Flut ihr komplettes Zuhause in einem Mehrfamilienhaus zerstören würden, nein, damit hat sie nicht gerechnet.

„Ich versuche jetzt einfach zu retten, was noch irgendwie brauchbar erscheint“, sagt die Mutter von zwei Töchtern, die im Rathaus arbeitet. Den Hängeschrank zum Beispiel, der noch auf dem Estrich liegt, „den ich aber schnell wegräumen muss, bevor er Feuchtigkeit zieht“. Denn Holzboden gibt es keinen mehr. Auch drei bodentiefe Fensterscheiben im Wohn- und Schlafzimmer und eine Fensterbank im Kinderzimmer hielten den Wassermassen nicht stand. In allen Räumen warten derzeit die letzten Habseligkeiten, die das Wasser nicht erreichte und die Sasse bis Ende der Woche unter anderem in die Garage ihres Bruders  bringen wird: Geschirr, Bilderrahmen, ein paar Kinderspiele, Bettwäsche, die in den Schränken ganz oben lag.

Beim Anblick der Babyschuhe eines ihrer Mädchen kommen ihr die Tränen. „Für Fenster, Böden und Wände muss ich nicht selbst aufkommen, das weiß ich schon“, erzählt Sasse. Alles andere aber wird sie auf eigene Kosten neu anschaffen müssen, über eine Elementarversicherung verfügt sie nicht. Das Wichtigste aber: „Wir leben und können irgendwann in die Wohnung zurückkehren“, das gibt Sasse Hoffnung. „Und die Waage aus dem Bad scheint auch noch zu funktionieren. Ein Helfer ließ mich wissen, dass die Gewichtanzeige stimmen könnte“, sagt sie und lacht. Das klappt schon wieder, wenn auch nur ganz kurz.

 Experten rechnen damit, dass sie noch bis mindestens Mittwoch brauchen, um den Sperrmüll in der Balker Aue zur Müllverbrennung in Leverkusen zu fahren.

Experten rechnen damit, dass sie noch bis mindestens Mittwoch brauchen, um den Sperrmüll in der Balker Aue zur Müllverbrennung in Leverkusen zu fahren.

Foto: Miserius, Uwe (umi)

Vor dem Mehrfamilienhaus wäscht Nachbarin Karen Hartert in einer zum Spülbecken umfunktionierten Box Konservendosen, Flaschen und Geschirr aus dem völlig vermoderten Keller ab. „Eine Kiste mit Hochzeitserinnerungen ließ sich nicht mehr retten“, sagt sie. Die 56-Jährige zeigt sich entrüstet, dass die Stadt sie in der Nacht der Katastrophe nicht warnte, keine Lautsprecherdurchsagen erfolgten. „Hätten wir eher Bescheid bekommen – und die Stadt wusste meines Wissens nach schon Mittwochmittag, was auf uns zukommen würde –, hätten wir noch viel mehr retten können.“ Vom Öffnen der Talsperren erfuhren viele Leichlinger erst durch Nachbarn, betont sie.  „Wir haben uns im Haus gegenseitig aufgeweckt!“ Bis 3:45 Uhr sei das Wasser gestiegen.

Wenige Stunden zuvor erfuhr am Mittwoch auch Erich Peterek, dass alles auf ihn warten würde, nur keine erholsame Nacht. Sein Sohn wohnt in Kradenpuhl, wenige Hundert Meter von der Wupper entfernt. Wer nicht aus der Blütenstadt kommt, konnte kurz nach der Flut glauben, der Weg nach Nesselrath erfolge in jeder Woche des Jahres per Boot, so hoch stand die Flut.

Petereks Sohn erfuhr per Whatsapp-Nachricht von der drohenden Katastrophe. „Das Problem: Mein Sohn ist aktuell gar nicht zu Hause, sondern bis kommenden Sonntag im Spanien-Urlaub.“ Deswegen hält Peterek nun die Stellung, sein Leichlinger Zuhause ist zum Glück nicht betroffen. Wer sonst räumte jetzt den Keller inklusive Arbeitszimmer mit Laptop, Drucker und Hunderten Seiten wichtiger Unterlagen sowie Spielecke für die Tochter, Gästebad und Kleiderzimmer aus? Seit Sonntag lässt sich das Untergeschoss betreten. Noch hängen triefnasse Winterjacken dort, und auch einen Aktenschrank müssen der 67-Jährige und seine Lebensgefährtin noch wegschaffen, „mit Hilfe von Freunden, die mit über 70 tagelang von 8 bis 20 Uhr ackern“.

Den Sperrmüll vor dem Haus fahren im Minutentakt Bauern aus Leichlingen und aus der Region zum improvisierten Sammelplatz an der Balker Aue. Gut möglich, dass dort bald die Heizung aus dem Untergeschoss landet, denn „die ist hin, das wissen wir schon“, sagt Peterek. „Warmes Wasser wird es vorerst nicht geben.“ Am 1. August soll ein neuer Mieter in die Wohnung im zweiten Stock einziehen. Petereks Sohn hat noch nichts von ihm gehört.

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