Leichlingen Eine schicksalhafte Begegnung am Grab

Leichlingen · Nach 30 Jahren lernt eine Mutter die erste große Liebe ihres mit 17 Jahren verunglückten Sohnes kennen. Die ehemalige Freundin legt bis heute rote Rosen auf sein Grab. Nun schließt sich für die beiden Frauen ein tröstender Schicksalskreis.

 Trauerbewältigung: Für Heidi Lischka eröffnet die Begegnung mit der ersten großen Liebe ihres Sohnes die Möglichkeit, mit ihrem eigenen Schmerz besser umzugehen.

Trauerbewältigung: Für Heidi Lischka eröffnet die Begegnung mit der ersten großen Liebe ihres Sohnes die Möglichkeit, mit ihrem eigenen Schmerz besser umzugehen.

Foto: Uwe Miserius

Eine rote Rose liegt regelmäßig auf einem Grab auf dem Friedhof Johannisberg. Vor 30 Jahren ist dort der damals 17-Jährige Michael Lischka beerdigt worden, der in der Mainacht 1984 auf tragische Weise auf den Eisenbahngleisen umgekommen war. Seine Mutter Heidi Lischka besucht sein Grab regelmäßig. Doch es ist nicht sie, die die roten Rosen immer wieder auf sein Grab legt.

Die Mutter wundert sich nur und fragt sich seit drei Jahrzehnten, wer außer ihr immer noch so intensiv des Verstorbenen gedenkt und sein Grab besucht. Durch Zufall hat sich das Rätsel vor wenigen Tagen gelöst. Die Mutter besucht wieder einmal den Friedhof. Als sie sich dem Grab ihres Sohnes nähert, sieht sie schon von weitem ein Paar dort stehen. Sie spricht die Frau mit der Rose an: "Was machen Sie an dem Grab?" Die Angesproche entgegnet: "Sind Sie die Mutter meiner ersten großen Liebe?" — Beide Frauen sind überwältigt, weinen: "Aber für mich waren es Freudentränen. Ich bin glücklich, die Frau getroffen zu haben, die meinen Sohn auch nach 30 Jahren noch in Erinnerung behalten hat", sagt die Mutter. Für sie ist diese Begegnung ein Stück positiver Trauerbewältigung. Da war eine Lücke, eine offene Frage, die sich für beide Frauen jetzt schließt und beantwortet.

Die ehemalige Freundin war ein Jahr lang mit dem dann tragisch verunglückten Leichlinger zusammen. In jener Nacht zum 1. Mai wollte er mit seinen Freunden Maibäume setzen. Wie es die Jungs gewohnt waren, nahmen sie eine Abkürzung über die Schienen: Das wurde Michael zum Verhängnis. "Am nächsten Tag hätte er mit seiner Freundin schwimmen gehen wollen, in dem Sommer wollten sie gemeinsam in ihren ersten Urlaub fahren", erinnert sich die Mutter. Und nachdem sie die Freundin ihres Sohnes wiedergesehen hat, weiß sie auch: "Das war das Mädchen mit den langen dunklen Haaren, das einmal bei uns gewesen ist."

Am Grab ihres Sohnes hat auch der Ehemann von Michaels ehemaliger Freundin gestanden: "Sind Sie denn gar nicht eifersüchtig?", hat ihn Heidi Lischka gefragt. "Nein, das war ja vor meiner Zeit", habe er geantwortet.

Und nun schließt sich für die beiden Frauen aus Leichlingen ein Schicksalskreis: Die Mutter lebt inzwischen in Langenfeld, die ehemalige Freundin ihres verstorbenen Sohnes in Leverkusen, zusammen mit ihrer Familie. Nur ein Wunsch muss unerfüllt bleiben: Den Vater ihrer ersten großen Liebe kann die Frau nun nicht mehr kennen lernen: Er starb vor 15 Monaten und ruht an der Seite seines Sohnes in derselben Grabstelle auf dem Johannisbergfriedhof.

Die beiden Frauen wollen sich nun aber nicht mehr aus den Augen verlieren: "Haben Sie noch ein Foto von Ihrem Sohn?", hat die einstige Freundin die Mutter gefragt. "Natürlich, viele, kommen Sie doch mit ihrer Familie zum Kaffee bei mir vorbei. Dann schauen wir die Bilder gemeinsam an", hat die Mutter spontan ihre Einladung ausgesprochen.

Und um die schicksalhafte und tatsächlich wahre Begebenheit komplett zu machen: Der Ehemann von Michaels ehemaliger Freundin hat am 27. Juli Geburtstag, genauso wie Michael, der aber in der Mainacht 1984 verstarb: "Am 1. Mai geht es mir seither immer schlecht", sagt seine Mutter. Aber dann fügt sie noch hinzu: "Durch diese schicksalhafte Begegnung mit Michaels erster großer Liebe, glaube ich: Jetzt kann ich meine Trauer endlich bewältigen."

(RP)
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