Christian Benz im Interview "Wir dürfen uns der Technik nicht unterwerfen"

Langenfeld · Der Psychotherapeut spricht beim ACK-Forum über die Folgen der digitalen Revolution für den Einzelnen.

 Christian Benz hält am Donnerstag das Impulsreferat.

Christian Benz hält am Donnerstag das Impulsreferat.

Foto: rm-

Herr Dr. Benz, haben Sie heute schon geskypt, gesimst oder gegoogelt?

Benz Nein, ich will nicht permanent erreichbar sein — und auch nicht jederzeit alles wissen. Vielleicht gelte ich mit dieser Ansicht als altmodisch, aber ich versuche, die Nutzung digitaler Medien auf das Notwendigste zu beschränken. In vielen Fällen sind sie zwar sehr praktisch, aber es geht auch ohne. Das ist durchaus aushaltbar, glauben Sie mir.

Vor allem für junge Menschen scheint alles Digitale aber faszinierend zu sein. Ist das schlimm?

Benz Technischer Fortschritt an sich ist per se weder gut noch schlecht. Entscheidend ist, was daraus gemacht wird. Im virtuellen Raum habe ich bisweilen den Eindruck, dass nicht der Mensch die Technik beherrscht, sondern die Technik den Menschen. Die Rollen von Ross und Reiter vertauschen sich, und wir sind irgendwie nicht mehr Herr der Lage. Die NSA-Affäre zeigt, dass diese Einschätzung nicht völlig abwegig ist. Das ist eine bedenkliche Entwicklung.

Inwiefern?

Benz Das momentane Wettrüsten im digitalen Raum kostet Geld, bindet Ressourcen, schürt Misstrauen und löst insgesamt ein Gefühl der Ohnmacht aus. Es ist eine Bedrohung der individuellen Freiheit und letztlich auch antidemokratisch. Beim Stichwort Industriespionage kommt ein enormer wirtschaftlicher Schaden hinzu.

In Ihrem Vortrag geht es vor allem um die psychologischen Folgen dieser Entwicklung. Worin sehen Sie die Hauptgefahr?

Benz Die digitale Abbildung der Welt beginnt, sich mit der Realität zu vermischen. Künstliche und menschliche Intelligenz werden ein Stück weit gleichgesetzt, obwohl das menschliche Denken ein zutiefst originärer Prozess ist. Das Gehirn ist eben kein biochemischer Computer, und es kann nicht adäquat simuliert werden. Ein Prozessorchip kann nicht misstrauisch werden oder intuitiv handeln — egal, wie gut er entwickelt ist. Er hat keinen Instinkt, es fehlt die gesamte Bandbreite an Emotionen, die Entscheidungen und Abwägungen beeinflussen.

Glauben Sie nicht, dass früher oder später alle Rätsel gelüftet sein werden?

Benz Nein. Allein die Vorstellung des Universums, das unendlich ist und sich gleichzeitig ausdehnt, ist im Grunde eine komplette Überforderung des menschlichen Gehirns. Wir müssen aber auch nicht alles verstehen. Das ist doch geradezu befreiend, oder nicht? Wo wissenschaftliche Erklärungslücken entstehen, können und müssen wir sie nicht unbedingt füllen. Das Staunen gegenüber Rätseln ist keine würdelose Kinderhaltung. Der Anspruch, alle Fragen wissenschaftlich lösen zu können, erweist sich doch zunehmend als Hybris.

Hat uns die technische Entwicklung nicht bereits überrollt?

Benz Das Internet und die digitalen Medien sind sicher die größte Revolution seit der Erfindung des Buchdrucks. In der Technik steckt ein unglaubliches Potenzial und sie kann ein Segen sein — wenn sie entsprechend genutzt wird. Aber sie ersetzt nicht kreatives Denken und soziale Interaktion. Im Gegenteil: Bei übermäßiger Nutzung können genau diese beiden Bereiche verkümmern.

Wie werden wir Herr der Lage?

Benz Mit einer humanistischen Emanzipation gegenüber der Technik. Im Endeffekt benutzen wir die neuen Medien und Kommunikationswege, nicht umgekehrt. Computer und Smartphones können auch mal abgeschaltet werden. Es gibt viele wichtigere Dinge im Leben.

DORIAN AUDERSCH STELLTE DIE FRAGEN

(dora)
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