Langenfeld/Monheim/Ratingen VHS: Als Erwachsener endlich richtig lesen lernen

Langenfeld/Monheim/Ratingen · Die Erfahrungen der Volkshochschulen: Die Betroffenen müssen selber das Bedürfnis haben, etwas ändern zu wollen.

 VHS-Leiterin Claudia Stawicki (Ratingen) mit einem Teilnehmer des Kurses "Lesen und Schreiben für Erwachsene".

VHS-Leiterin Claudia Stawicki (Ratingen) mit einem Teilnehmer des Kurses "Lesen und Schreiben für Erwachsene".

Foto: Achim Blazy

Laut der Studie "Level-One" der Universität Hamburg können 14 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung in Deutschland nur unzureichend lesen und schreiben. Rechnet man diese Zahlen auf Langenfeld und Monheim herunter, müssen auch hier mehrere Tausend funktionale Analphabeten leben. Funktionale Analphabeten können zwar einzelne Sätze lesen und schreiben, nicht jedoch zusammenhängende Texte verstehen.

Die Volkshochschule Ratingen will mit dem Kursus "Lesen und Schreiben für Erwachsene" etwas gegen diese Entwicklung tun. In dem Kurs lernen Erwachsene in lockerer Atmosphäre lesen und schreiben oder können ihre Kenntnisse verbessern. Ein 34-jähriger Teilnehmer des Kurses hat sich bereiterklärt, über die Probleme mit dem Analphabetismus zu sprechen: "In der Schule hatte ich schon eine Lese-Rechtschreib-Schwäche. Doch mit der Hilfe einer Nachbarin habe ich die Schule ganz gut hinter mich gebracht. Danach stand das Thema Lesen und Schreiben nicht mehr im Mittelpunkt, was mir damals ganz recht war." Nach der Schule machte er eine Ausbildung zum Monteur, noch heute arbeitet er in diesem Betrieb und ist inzwischen leitender Monteur. "Im Beruf erlebt man oft unangenehme Situationen. Ich muss Berichte schreiben und habe oft meine Frau um Hilfe gefragt. Irgendwann kam dann der Zeitpunkt, an dem ich endlich selbstständig und unabhängig sein wollte." Im Schaukasten der VHS hatte er von dem Kurs erfahren und ist dann zu einer Probestunde gegangen.

"Die Menschen, die die Alphabetisierungskurse besuchen, kommen aus eigenem Antrieb, wollen etwas in ihrem Leben verändern", hat Silvia Licharz, seit 20 Jahren Kursleiterin bei der VHS Langenfeld, beobachtet. Die meisten schämten sich zunächst, sagt sie. Aber wer ein starkes Motiv habe, etwa das berufliche Fortkommen oder einfach den Wunsch, mehr Selbstbewusstsein zu gewinnen, bleibe oft sogar über mehrere Jahre dabei. "Kursteilnehmer dagegen, die von anderen angeschleppt werden, haben erfahrungsgemäß nicht diese Ausdauer." Deshalb habe man seitens der VHS etwaige Versuche, um Teilnehmer zu werben, aufgegeben, die Resonanz sei zu gering gewesen. In der Regel besuchten vier, fünf Betroffene ihren Kursus. "Im Kampf gegen den Analphabetismus müsste man ohnehin in der 1. Klasse der Grundschulen ansetzen und die Schüler mit Lese- und Schreibschwäche sofort gezielt auffangen", findet Licharz.

Auch Wilfried Kierdorf, Leiter der Volkshochschule Monheim, der 2012 dem Analphabetismus den Kampf ansagen wollte, ist mittlerweile ernüchtert. Mit einer Fachkonferenz im April wollte er Multiplikatoren in den Berufssparten gewinnen, die potenziell mit Analphabeten zusammentreffen. "Wir haben 100 Unternehmen angeschrieben – und keines kam." In der Wirtschaft habe man das Problem offenbar noch nicht erkannt. Insgesamt habe es nur einige wenige Betroffene gegeben, die im Ergebnis den Weg zur VHS fanden. "Es ist tatsächlich schwierig, diese Zielgruppe zu erreichen", sagt Kierdorf. Viele der Betroffene haben offenbar sehr taugliche Alltagsstrategien entwickelt, mit denen sie sich durchschlagen. Die anderen scheuten möglicherweise davor zurück, sich gegenüber dem Arbeitgeber zu outen, aus Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, vermutet er. "Man muss selber das Bedürfnis haben, es lernen zu wollen", folgert Kierdorf.

"So ein Kursus ist nur zu empfehlen. Die Unsicherheit verschwindet natürlich nicht von einem Tag auf den anderen, aber man fühlt sich besser. Man entdeckt die Sprache ganz neu", ist die Erkenntnis des 34-Jährigen aus Ratingen.

(RP)
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