Meinung zum Fußball Schlechte Sportsmänner sind nicht „clever“

Langenfeld/Monheim · Zwei Szenen vom „Blumentopf-Cup“ in Langenfeld illustrieren, wie kurz die Zündschnur und wie niedrig die Hemmschwelle im Amateurfußball heutzutage sind. Unsportlichkeiten gehören inzwischen zum Fußball wie Stadionwurst und Pausenbier – auch bei den Profis. Unser Autor könnte ein Buch füllen mit mit schlimmen Vorkommnissen aus seinem Lieblingssport.

 Sinnbild der Theatralik: Brasiliens Superstar Neymar wird seiner Vorbildfunktion für Amateurfußballer nur selten gerecht.

Sinnbild der Theatralik: Brasiliens Superstar Neymar wird seiner Vorbildfunktion für Amateurfußballer nur selten gerecht.

Foto: AP/Francisco Seco

Es ist was faul im Amateurfußball. Für diejenigen, die regelmäßig auf den Sportplätzen in den Niederungen der Kreisliga unterwegs sind, ist das eigentlich kaum zu übersehen. Zu deutlich treten hier an jedem Wochenende Dinge zutage, die mit Fußball rein gar nichts zu tun haben: Unfairness, Feindseligkeit und leider viel zu häufig auch Gewalt. Den früheren Konsens, lieber würdevoll zu verlieren, als mit schmutzigen Mitteln zu gewinnen, teilt heutzutage längst nicht jeder mehr. Wer dem Gegenspieler hinter dem Rücken des Schiedsrichters auf die Füße tritt, der wäre von meinem Opa früher noch als schlechter Sportsmann verschrien worden. Heute verdient er sich dafür oft genug das Attribut „clever“, vor allem dann, wenn sich der Getretene zu einer Reaktion hinreißen lässt und dafür im besten Fall vom Platz gestellt wird.

Ich maße mir an, das beurteilen zu können, schließlich fasziniert mich dieser wunderbare Sport von Kindesbeinen an. Hauptverantwortlich dafür waren der dem FC Schalke 04 hoffnungslos verfallene Großvater und meine besten Kindheitsfreunde, die ihr Herz Borussia Dortmund geschenkt hatten – und denen ich mich zum Leidwesen meines Opas damals anschloss. Nur logisch, dass meine Eltern mich mit sechs Jahren zu den Bambini schickten und ich Fußball spielte bis ich erwachsen war. Kurz nach dem Abitur beendete eine Knieverletzung zwar die aktive Karriere, doch trotzdem blieb ich meinem Lieblingsspiel treu: Schon zu Schulzeiten hatte ich begonnen, als freier Mitarbeiter für den lokalen Sportteil dieser Zeitung zu schreiben, und so berichtete ich meine gesamte Studienzeit lang mit Begeisterung über die Fußballvereine der Umgebung.

Aber auch der direkte Kontakt zum Rasen, der heutzutage ja meist in künstlicher Form verlegt wird, durfte nicht fehlen: In jungen Jahren trainierte ich zwei Jugendmannschaften und bin heute seit inzwischen zwei Jahren Coach der Zweitvertretung des SSV Berghausen in der Kreisliga A. Das Folgende gründet also auf mehr als zwei Jahrzehnten Erfahrung im Amateurfußball, die ich aus verschiedensten Perspektiven gesammelt habe. Dass ich besonders in meinen Rollen als Spieler und Trainer vieles subjektiv erlebt habe, ist unbestritten, doch bin ich mir sicher, dass viele derjenigen, die sich wie ich mit Leib und Seele dem Amateurfußball hingeben, Ähnliches erlebt haben.

Der Anstoß für diesen Text – sozusagen der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte – waren meine jüngsten Erlebnisse beim „Blumentopf-Cup“ in der Sporthalle des Langenfelder Konrad-Adenauer-Gymnasiums. Zuvor waren bereits Hallenturniere in Velbert und Oberhausen derart eskaliert, dass die Polizei eingreifen musste. Soweit kam es in Langenfeld glücklicherweise nicht, und dennoch stießen mir die Vorfälle übel auf – vor allem, weil es bei dem Turnier wirklich um rein gar nichts geht, was der Name der Veranstaltung irgendwie auch suggeriert.

Trotzdem kam es schon in der Vorrunde zum ersten Eklat, nachdem der Schiedsrichter dem Torwart einer Düsseldorfer Mannschaft die Rote Karte gezeigt hatte, weil dieser einen Schuss außerhalb des Siebenmeterkreises mit den Händen abgewehrt hatte. Auch wenn der Unparteiische in dieser Situation tatsächlich das nötige Fingerspitzengefühl vermissen ließ und der Keeper durch den Platzverweis womöglich auch für die ersten Meisterschaftsspiele gesperrt werden wird, fehlte der Düsseldorfer Reaktion jegliche Verhältnismäßigkeit: In Mannschaftsstärke bedrängten sie den Schiedsrichter, und neben den Spielern und dem Trainer waren auch Zuschauer involviert, die von der Tribüne hinuntergesprungen waren. Einer von ihnen verpasste einem meiner Spieler einen Schlag ins Gesicht. Später darauf angesprochen, verteidigte sich der Zuschauer damit, dass er verbal provoziert worden sei. Mein Spieler habe gesagt, dass die Düsseldorfer „am Saisonende eh absteigen würden“. Das schien ihm Rechtfertigung genug zu sein für eine saftige Backpfeife, und außerdem solle ich den Spieler doch selbst schicken, dann „würden wir das schon regeln“.

Damit war mein Tagesbedarf an Stumpfsinn eigentlich schon gedeckt, doch im letzten Gruppenspiel folgte der nächste Aufreger. Im Lokalduell gegen eine andere Langenfelder Mannschaft ging es ums Weiterkommen, und dementsprechend hitzig wurde die Partie geführt. Auch meine Spieler stiegen hier viel zu hart ein und hatten ihren Anteil daran, dass es nach der Partie erneut zu Handgreiflichkeiten und versteckten Tätlichkeiten kam. Bemerkenswert war aber vor allem der Auftritt eines Zuschauers in gesetztem Alter, der offenbar der Vater eines gegnerischen Akteurs war. Völlig in Rage stürmte er von der Tribüne und drohte einem meiner Spieler lauthals und mehrfach, ihm Teile der Genitalien „abzuschneiden“. All das ereignete sich – ich werde nicht müde, es zu betonen – bei einem Turnier mit dem Namen „Blumentopf-Cup“.

Diese beiden Beispiele zeigen, wie kurz die Zündschnur und wie niedrig die Hemmschwelle im Amateurfußball heutzutage sind. Und Ereignisse wie diese sind keine Ausnahme, ich könnte ein Buch füllen mit Vorkommnissen aus derselben Kategorie. Ich habe selbst gesehen, wie Eltern bei einem F-Jugendspiel aufeinander losgingen. Ich habe selbst gesehen, wie ein Spieler von Zuschauern getreten wurde, als er unter der Bande hindurchschlüpfte, um einen Ball zu holen. Und ich habe selbst gesehen, wie ein Torhüter einen Schiedsrichter mit einem Schlag ins Gesicht niederstreckte und weiter auf ihn einprügelte, als dieser schon am Boden lag.

In meiner Tätigkeit als Journalist wurde ich von Spielern beleidigt und bedroht, nur weil ich sie in einem Artikel als „Teilzeitkräfte“ bezeichnet hatte. Und von einem Leser, dem meine Berichterstattung über die Jugendabteilung seines Vereins nicht gefiel, wurde ich am Telefon dazu aufgefordert, mich mit ihm im Dunkeln auf einem Parkplatz zu treffen, damit wir das Problem „wie Männer lösen“ könnten. Ironischerweise war ich zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig.

All das einfach als generelle Entwicklung unserer Zeit abzutun, greift zu kurz. Mir zumindest ist eine solche Verrohung der Sitten aus anderen Sportarten nicht bekannt, auf keinen Fall ist sie dort an der Tagesordnung, wie es im Fußball der Fall ist. Und das hat auch etwas mit Vorbildern zu tun. Als ich im vergangenen Sommer die Rugby-WM verfolgte, ging mir förmlich das Herz auf, so respektvoll und fair wurde dort miteinander umgegangen. Entscheidungen der meist zwei Köpfe kleineren Schiedsrichter wurden hier nicht diskutiert, sondern von den Mannschaftskapitänen, die oft aussahen als wären sie frisch einer Dokumentation über Höhlenmenschen entsprungen, demütig entgegengenommen. Ähnlich sportliches Verhalten sieht man momentan bei der Handball-EM, bei der sich die Kontrahenten nach ihren Mann-gegen-Mann-Duellen die Hand geben und sich gegenseitig aufhelfen, obwohl diese Zweikämpfe deutlich heftiger und auch schmerzhafter geführt werden als beim Fußball.

Beim Volkssport Nummer eins hingegen diskutiert der doch eigentlich so sympathische Bayern-Spieler Thomas Müller bei jeder Schiedsrichterentscheidung herum. Nationalkeeper Manuel Neuer hebt nach einem Gegentor routinemäßig seinen inzwischen bundesweit bekannten „Lamentier-Arm“, egal wie einwandfrei der Treffer gegen ihn erzielt wurde. Und bei der letzten Weltmeisterschaft betrieb der brasilianische Superstar Neymar das Zeitschinden und Simulieren auf derart rotzfreche Art und Weise und trotzdem meist unsanktioniert, dass einem der Spaß am Fußball nur vergehen konnte.

Das Schlimme ist, dass all dies anscheinend niemanden wirklich interessiert. Unsportlichkeiten gehören inzwischen zum Fußball wie Stadionwurst und Pausenbier. An solchen Tagen wünsche ich mir meinen Opa zurück. Der wusste noch, dass Leute, die diskutieren, lamentieren und Zeit schinden nicht clever sind – sondern einfach nur schlechte Sportsmänner.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: regiosport.me@rheinische-post.de

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