Unter Wasser „Apnoe-Tauchen ist fast wie Philosophie“

Langenfeld · Marco Goymann geht seit zwei Jahren ohne Sauerstoff unter Wasser. Jetzt holte er bei den Deutschen Meisterschaften den Titel.

 Wichtiges Zubehör: Apnoe-Taucher Marco Goymann braucht seinen Bleihalsring zum Ausbalancieren unter Wasser. Alles zusammen ist eine Kunst für sich.

Wichtiges Zubehör: Apnoe-Taucher Marco Goymann braucht seinen Bleihalsring zum Ausbalancieren unter Wasser. Alles zusammen ist eine Kunst für sich.

Foto: Matzerath, Ralph (rm-)

Für Marco Goymann sind es Minuten der absoluten Entspannung – ein Gefühl der Schwerelosigkeit, weit weg vom normalen Leben, in absoluter Stille. Für andere ist es schlicht der helle Wahnsinn, wenn Menschen ohne Sauerstoff-Ausrüstung abtauchen, um rechtzeitig vor der Bewusstlosigkeit wieder an die Luft zu kommen. Apnoe-Tauchen oder Freediving heißt diese eher seltene Wassersportart. Trainieren lässt sie sich beim Tauch-Club Leverkusen im Schwimmbad Bergisch Neukirchen. Einer der Sportler ist Marco Goymann, der für den Schwimm-Verein Langenfeld (SVL) als Unterwasser-Rugby-Spieler aktiv ist.

Freediving-Profis können bewegungslos zehn bis elf Minuten mit nur einem Atemzug ausharren. In der Bewegung ist dagegen nicht die Dauer, sondern die zurückgelegte Tauchstrecke entscheidend. Marco Goymann beherrscht die Kunst offensichtlich perfekt, denn er wurde kürzlich bei den ersten offenen Titelkämpfen in Wuppertal Deutscher Meister. In der Pool-Disziplin Streckentauchen ohne Flossen legte er mit knapp 90 Metern nicht mal den weitesten Weg zurück – aber den saubersten und sichersten. Einer seiner Konkurrenten schaffte über 130 Meter, hatte sich dabei jedoch stark überschätzt. Beim Auftauchen fiel er in einen „Blackout“ und wurde deshalb disqualifiziert.

Bereits ein erstes Zeichen für Bewusstseinsstörungen – wie ein Zittern der Hände beim Abnehmen der Taucherbrille – kann für den betreffenden Sportler im Wettkampf das Aus bedeuten. „Man muss seine Grenzen schon genau kennen“, sagt Marco Goymann, „und wissen, wie lange man den Atemreflex nach hinten rausziehen kann, ehe man im schlimmsten Fall ohnmächtig wird.“ Wer bis zur Bewusstlosigkeit unter Wasser bleibt, ertrinkt, wenn er ohne Begleitung unterwegs ist. „Es gibt strenge Sicherheitsregeln“, betont Goymann, „man darf nur mit Partner ins Wasser, steht also ständig unter Beobachtung. Tiefenrausch und narkotisierender Adrenalinkick, so etwas gibt es in unseren Dimensionen nicht.“

In Deutschland ist Apnoe-Tauchen als Wettkampfsport bislang wenig populär. „Dabei ist es viel schöner und einfacher, ohne schwere Sauerstoff-Flaschen unterzutauchen“, findet Goymann. Für Training und Wettkämpfe nimmt er mit dem Hallenbad vorlieb. „Richtig überwältigend ist für mich allerdings das Tieftauchen im offenen Meer“, erzählt Goymann, „hier spüre ich mich und meinen Körper am intensivsten und kann das vollumfängliche Gefühl haben, mit dem Wasser zu verschmelzen.“ Beeindruckend sei dabei, beim Abtauchen den zunehmenden Druck der Wassersäule zu spüren und „die kontinuierlich sich von mir entfernende Wasseroberfläche zu beobachten“.

Erst vor zwei Jahren hat der Unterwasserrugby-Spieler seine Leidenschaft fürs Apnoe-Tauchen entdeckt. „Ich habe schon immer eine Affinität zum Wasser gehabt und bin im Urlaub gerne ohne Ausrüstung an Ankerketten getaucht“, erzählt Goymann. Beim Tauchclub Leverkusen hat er die richtige Anleitung gefunden und zweimal in der Woche geht er im Verein ohne Flaschenballast in die Tiefe oder auf die Strecke. Oder er steht wie ein Stichling unter Wasser still am Beckenrand. „Die Zeit vergeht viel langsamer. Zwei Minuten, ohne zu atmen, kommen mir vor wie eine halbe Stunde. Man erlebt seinen Körper sehr bewusst. Für mich ist das fast schon philosophisch“, schwärmt Goymann. Vor jedem Tauchgang gibt es Trockenübungen im Atmen am Beckenrand. Für sich alleine macht er noch Yoga.

Beim Apnoe-Tauchen gibt es drei Disziplinen. In der „Statik“ hängt der Sportler am Beckenrand und hält einfach die Luft an. Bei der „Pool-Disziplin“ gleitet man mit und ohne Flossen durchs Wasser und bei der „Tiefe“ im offenen Meer bringt es Marco Goymann auf 40 Meter. Der vergleichbare weltweite Rekord liegt bei 130 Metern, der nationale deutsche bei 100 Metern.

Wie ein Draufgänger wirkt der verheiratete Vater von zwei Kindern, der im mittleren Management eines Kommunikations-Unternehmens tätig ist, nicht. Der 53-Jährige ist sportlich-drahtig und betreibt weitere Fun-Sportarten. Goymann wirkt ausgeglichen und vernünftig. „Dieser Schein trügt nicht“, bestätigt er. Tatsächlich helfe ihm das Tauchen im Alltag sehr: „Vor stressigen beruflichen oder privaten Situationen, wenn ich aufgeregt oder nervös bin, kann ich mich durch gezielte Atmung auf den Punkt entspannen.“ Darum werden ihn vermutlich nicht wenige beneiden.

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