Langenfeld/Monheim Obdachlos – das war einmal

Düsseldorf · Was andere als einsam empfänden, betrachtet Toni als Geschenk: Weihnachten mit Katze Kimba „allein“ im eigenen Apartment. Der in Monheim wohnende Langenfelder war jahrelang betrunkener Stammgast im Obdachlosen-Asyl.

Nennen wir ihn Toni. Er möchte nicht, dass sein richtiger Name in der Zeitung steht. „Da regt sich meine Schwester nur auf.“ Einen Obdachlosen und Alkoholiker in der Familie zu haben ist eben keine Geschichte, die man gerne rumerzählt. Auch wenn das Vergangenheit ist – das Stigma bleibt. Trotzdem: Toni hat es geschafft. Er ist trocken und hat eine Wohnung. 39 Quadratmeter nur, aber eine eigene, für sich ganz allein.

Nach der 7. Klasse abgegangen

Toni ist 51. Er wuchs „an der Kö“ auf. Nicht an d e r Kö, die Rheinländer gemeinhin mit dem Kürzel verbinden, sondern am glatten Gegenteil davon. Die Königsberger Straße in Langenfeld war bis zum Abriss ihrer Mietskasernen vor wenigen Jahren d e r Sozialfall der Stadt, eine Hochburg der „Asozialen“, wie es im Volksmund heißt. „Wir waren zu neunt“, erzählt der schmächtige Mann mit den rötlich-blonden Haaren. Mutter, Vater, fünf Jungen und zwei Mädchen. Der Vater war Bauarbeiter. Toni, Drittjüngster unter den sieben Geschwistern, verließ die Hauptschule als Siebtklässler. Um zu arbeiten. Ohne Lehre? „Ja, ohne Lehre – die Familie brauchte ja Geld.“ Irgendwann fing Toni an zu trinken. Warum? „Wenn ich das wüsste. Vermutlich aus Langeweile.“ Mit Mitte 30 landete er auf der Straße. Die Nächte verbrachte er in der städtischen Notunterkunft an der Bahnstraße. „Da wurde noch mehr gesoffen, Bier, Schnaps, alles, quer durch den Garten.“

Drei Jahre ging das so. Dann kam Toni beim Betreuten Wohnen des Sozialdiensts katholischer Frauen (SkF) unter. Und hörte mit dem Trinken auf. „Schlagartig, von einem Tag auf den anderen – das glaubt mir heute noch keiner.“ Zu zweit hätten sie sich vorgenommen: Schluss damit. „Der Kumpel hat sich damals zu Weihnachten ein Schnäpschen genehmigt und fing wieder an.“ Toni aber rührte seit dem Abstinenz-Schwur keinen Tropfen Alkohol mehr an. „Nicht mal Pralinen mit Schuss.“

Beim Betreuten Wohnen waren sie zu zweit auf einem Zimmer. „Das war natürlich besser als an der Bahnstraße, aber auf Dauer geht das nicht.“ Wer macht was im Haushalt? Warum stehen die benutzten Teller noch hier rum? Sei doch nicht so pingelig! Der alltägliche WG-Zoff eben. Dessen überdrüssig, legte Toni Monat für Monat ein wenig von seiner Sozialhilfe beiseite, um eines Tages Geld für eine preiswerte Wohnungseinrichtung parat zu haben. Dieser Tag kam, Toni kaufte sich ein paar Möbel und zog auf Vermittlung des SkF in „sein“ 39-Quadratmeter-Apartment im Berliner Viertel in Monheim.

„Dort bin ich mein eigener Herr“, freut sich der 51-Jährige auf ein Weihnachten, das andere als einsam empfänden, das der einst Obdachlose aber als Geschenk betrachtet: Weihnachten in den eigenen vier Wänden! Etwas Besonderes vor hat er nicht. „Vielleicht lädt mich ja noch jemand ein.“ Wenn nicht, verbringt er die Feiertage mit Musik aus dem CD-Spieler, Filmen auf DVD und mit Kimba, seiner getigerten Katze. „Kimba habe ich, seit sie ganz klein ist.“

Und was wünscht sich Toni für die Zukunft? Arbeit? „So etwas wie Zeitungenaustragen würde ich schon machen, aber die Zuverdienstgrenze von 165 Euro pro Monat ist schnell erreicht.“ Über diese Grenze hinaus lohnt sich für den Alg II-Empfänger Geldverdienen finanziell nicht, es sei denn, er arbeitete vollzeit. Die Hoffnung auf einen richtigen Arbeitsplatz jedoch hat er aufgegeben. Über 50, ohne Ausbildung, ohne Führerschein, ohne längere Arbeitserfahrung – wer stellt so jemanden ein, wenn er andere, jüngere Hilfsarbeiter bekommen kann?

Also stellt sich Toni darauf ein, dass seine Lebensverhältnisse so bleiben, wie sie sind: ärmlich, aber geregelt. Das ist für jemanden, der über Jahre betrunken im Obdachlosen-Asyl unterkam, gar nicht so wenig. Den Rat seiner früheren SkF-Betreuer schätzt er nach wie vor, besonders bei „Papierkram“ mit Ämtern oder Vermieter, aber sonst meistert er seinen Alltag selbst.

Einen Wunsch? Ja, verreisen würde er ganz gerne mal. „Ich bin in meinem Leben noch nie richtig verreist.“ Berlin oder Hamburg – „diese Städte würde ich gerne mal sehen“, sagt Toni, und seine blauen Augen glänzen, wie man es manchen derer wünscht, die unendlich „reicher“ sind als ein 51-jähriger Alg II-Empfänger mit kleiner Sozialwohnung.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort