Monheim „Als Pflegefamilie ist man teilweise öffentlich“

Monheim · Pflegeeltern müssen damit rechnen, dass bei der Erziehung eines Pflegekindes auch die leiblichen Eltern und das Jugendamt mitreden.

 Gudrun Scheckler-Dräger arbeitet seit 28 Jahren beim Pflegekinderdienst.

Gudrun Scheckler-Dräger arbeitet seit 28 Jahren beim Pflegekinderdienst.

Foto: Matzerath, Ralph (rm-)

Jedes Jahr werden in Deutschland mehr Kinder in Pflegefamilien und Heimen untergebracht. Das belegen aktuelle Zahlen der Länderbehörden. Mit der steigenden Zahl an Fremdunterbringungen steigt aber auch der Bedarf an geeigneten Pflegefamilien. Die RP befragte Gudrun Scheckler-Dräger vom Pflegekinderdienst (PKD) und Friedhelm Haussels, Leiter des Allgemeinen Sozialdienstes, nach den Anforderungen.

Muss ich eine Familie im klassischen Sinn sein, um ein Pflegekind aufnehmen zu können oder kann ich das auch als Single?

Scheckler-Dräger: Nein, dafür kommen Ehepaare – auch gleichgeschlechtliche – und unverheiratete Paare in Frage, aber auch Singles – alle Konstellationen sind denkbar. Wir gehen bei der Auswahl immer von dem Kind aus: Manchmal ist ein Kind bei einer alleinerziehenden Mutter besser aufgehoben, wenn es etwa von seinem Vater misshandelt wurde und daher Männern gegenüber generell zurückhaltend ist. Wir waren immer schon innovativ, was die Einbeziehung von gleichgeschlechtlichen Paaren angeht. Bei Einzelpersonen kann es nur schwierig werden, finanziell klarzukommen, weil wir die Erwartung haben, dass ein Elternteil für eine gewisse Zeit zu Hause bleibt. Die Kinder haben ja schon ein Päckchen auf dem Rücken.

Werden auch die finanziellen Verhältnisse überprüft, um sicher zu gehen, dass man ein fremdes Kind nicht nur des Geldes wegen aufnimmt?

Scheckler-Dräger: Ja. Wir sagen, dass jede Motivation erlaubt ist, ein Pflegekind aufzunehmen. Nur nicht die, um damit Geld zu verdienen. Und wenn man eine Zeitlang aufhören muss, zu arbeiten, ist das natürlich eine finanzielle Einbuße. Wir wollen aber, dass das Kind in wirtschaftlich geordneten Verhältnissen aufwächst. Daher können die Eltern zu dem Pflegegeld auch noch Beihilfen beantragen, etwa für die Ausstattung des Kinderzimmers oder besonderer Anlässe wie die Konfirmation. Aber Geld kann man mit der Pflege nicht verdienen.

Welche nicht-materiellen Anforderungen werden an die Pflegeeltern gestellt?

Scheckler-Dräger: Es ist wichtig, dass jemand genügend Raum hat, das Kind muss die Gelegenheit haben, sich zurückzuziehen. Überdies brauchen die Pflegeeltern viel Zeit und ganz viel Geduld. Sie müssen gesund sein, und ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Sie müssen eine gewisse Erziehungskompetenz mitbringen, wir schicken sie daher in eine Schulung und führen sehr viele Gespräche, stellen unzählige Fragen, lassen uns eine Lebensbeschreibung geben. Wir müssen am Ende zu dem Ergebnis kommen: Die schaffen das.

Worauf muss man sich einstellen, wenn man bedenkt, dass diese Kinder in ihrem Leben schon sehr leidvolle Erfahrungen gemacht haben, etwa misshandelt oder vernachlässigt wurden?

Scheckler-Dräger: Das Kind hat dann schon mindestens einen Beziehungsabbruch durchgemacht. Darüber  hinaus gibt es eine ganze Palette von Problemen als Ergebnis der schlechten Erfahrungen: Entweder ist das Kind ganz still, zieht sich zurück, oder es ist sehr aggressiv und aufbrausend, und lässt ebenfalls niemanden an sich heran.

Haussels: Der ja meist fortbestehende Kontakt zu den leiblichen Eltern trägt oft weitere Probleme in die Pflegefamilie hinein. Zudem weiß man bei Babys und Kleinkindern nicht, welche gesundheitlichen Probleme sich noch einstellen.  Wie etwa das FASD–Syndrom [Schädigung des Fötus’ durch Alkoholkonsum der Mutter]. Wir können den Pflegeeltern oft gar nicht sagen, was noch passieren kann, denn welche Mutter redet schon offen über ihre Trinkgewohnheiten während der Schwangerschaft.

Scheckler-Dräger: Alles, was wir wissen, geben wir den Pflegeeltern mit auf den Weg. Nicht wenige der Kinder benötigen später  – wenigstens vorübergehend – eine Förderschule, oft mit seelisch-emotionalem Schwerpunkt. Andere schaffen aber auch die mittlere Reife oder das Abitur.

Haussels: Je kleiner sie sind, wenn sie in eine neue Familie kommen, desto mehr Chancen eröffnen sich ihnen. Insgesamt sind sie im Vergleich mit gleichaltrigen Kindern entwicklungsverzögert.

Für Außenstehende ist schwer verständlich, dass diese Kinder dennoch stark unter der Trennung von den Eltern leiden. Welche Rolle bleibt da für die Pflegeeltern?

Scheckler-Dräger: Pflegeeltern, die ein Kind dauerhaft aufnehmen, fühlen sich als Eltern. Sie sind sich aber bewusst, dass das Kind zwei Familien hat. Die Kinder fühlen sich dort langfristig auch zugehörig. Sie zeigen das dann oft auch, indem sie darauf drängen, den Namen der Pflegeeltern anzunehmen.

Welche Rolle spielen nach der Inobhutnahme des Kindes die leiblichen Eltern? In wiefern sind sie weiter in die Erziehung involviert?

Scheckler-Dräger: Die leiblichen Eltern spielen immer eine Rolle, sie haben ein Umgangsrecht. Bei der Dauerpflege finden die Treffen maximal einmal im Monat statt. Denn der Lebensmittelpunkt des Kindes ist jetzt die Pflegefamilie, zu den leiblichen Eltern müssen ja keine Bindungen mehr aufgebaut werden, aber der Kontakt soll erhalten bleiben. Manchmal haben sie auch das Sorgerecht, dann können sie etwa bei der Wahl der Schulform mitentscheiden. Auch ohne Sorgerecht obliegt es den Eltern über die Religionszugehörigkeit zu entscheiden. Sie werden auch zu den Hilfeplangesprächen eingeladen.

Steht von Anfang an fest, wie lange ein Kind in Obhut der Pflegeeltern bleibt?

Scheckler-Dräger:  Nein, wenn das Sorgerecht entzogen wurde, wird alljährlich überprüft, ob die Eltern nicht doch wieder Verantwortung übernehmen können. Sie können  jederzeit zum Gericht und sagen, dass sie ihr Kind zurück haben wollen. Aber wenn die Kinder mehrere Jahre in der Pflegefamilie zugebracht haben, muss diese sich keine großen Sorgen mehr machen. Dann zählt, dass sich das Kind dort zu Hause fühlt.

Inwiefern werden die Pflegeeltern vom PKD unterstützt?

Scheckler-Dräger: Wir halten Kontakt zu den Pflegefamilien, machen Hausbesuche, gucken, wie es den Kindern geht. Die Pflegeeltern können sich jederzeit an uns wenden, besonders die ersten zwei Jahre sind intensiv, in dieser Zeit müssen neue Bindungen aufgebaut werden.  Die Pflegeeltern müssen sich aber bewusst sein, dass sie mit einem Pflegekind eine teil-öffentliche Familie sind. Durch unsere Präsenz bekommen wir zwangsläufig auch mit, wie sich die leiblichen Kinder entwickeln.

Haussels: Schließlich kommt ja auch der Vormund oder der Ergänzungspfleger einmal monatlich vorbei, wenn den leiblichen Eltern das Sorgerecht ganz oder teilweise entzogen ist.  Die Pflegefamilie hat nur selten das Sorgerecht, wir wollen eine Doppelrolle vermeiden. Wir haben so eine zusätzliche Kontrolle – im Sinne des Kindeswohls. Wenn es etwa Konflikte in der Schule gibt, nimmt der Vormund die Rolle einer neutralen Instanz ein.

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