Brückentag des Jahres Die Brücke der Beweglichkeit

Monheim · Verrenkungsübungen wie die „Brücke“, sie gelten in Zeiten von Fatburner und Bodystyling so asbach wie Turnvater Jahn. Auch die Gymnastik wirkt angestaubt. Was ist aus ihr geworden? Ein Besuch beim Baumberger Turn- und Sportclub (BTSC).

 Brückenübung beim Eltern-Kind-Turnen: Übungsleiterin Margot Thies gibt Julian und Emma Bewegungssicherheit.

Brückenübung beim Eltern-Kind-Turnen: Übungsleiterin Margot Thies gibt Julian und Emma Bewegungssicherheit.

Foto: Matzerath, Ralph (rm-)

Es gibt da so ein paar Dinge, die selbst diejenigen, die das Unterrichtsfach Sport ganz gerne mochten, nicht so rosa in Erinnerung haben. Die „Brücke“ gehört unbedingt dazu. So wie der Sportlehrer in diesem Trainingsanzug, den man erst wieder sah, als das „Wunder von Bern“ in die Kinos kam: ein Sepp-Herberger-Typ, für den Sport noch Leibesübung war, Pflicht, Leistung, Disziplin. Die „Brücke“, sie riecht heute noch nach „Herbergers“ Haarwasser und nach Bohnerwachs auf Linoleumboden.

Man lege sich mit dem Rücken auf den Boden, die Arme langgestreckt an Kopf und Ohren entlang, und drücke dann das Becken und schließlich den ganzen Körper so weit nach oben, dass ein Turngenosse in der tiefsten Gangart darunter hindurchkrabbeln kann. Bei Besitzern einer Standard-Wirbelsäule ist die Lebensdauer dieses Bauwerks eher in Sekunden denn Minuten zu messen. Und so gut wie jeder, der nicht zur Spezies der Schlangenmenschen zählt, fragt sich nach dem Knarzen seiner Bandscheiben: Warum tut’s nicht auch eine Hängebauchbrücke?

Wozu also? Marion Vogtmann hat diese Frage für sich längst beantwortet: „Die Brücke ist unnatürlich und gehört daher eher in den Zirkus statt in den Breitensport“, sagt die Übungsleiterin für Gesundheitssport und Sportwartin beim Baumberger Turn- und Sportclub (BTSC) in Monheim. Das bedeutet für sie keine komplette Verbannung aus der Gymnastik, aber eben aus dem Standardprogramm: „Wer sie mag und kann, der soll sie ruhig machen“, sagt die 61-Jährige. Doch niemand sollte das Gefühl haben, eine schön gewölbte Brücke gehöre irgendwie zur Gelenkigkeit dazu.

Der siebeneinhalbjährige Mateo kann sie. Und gehört zu den wenigen, die sie gerne machen. „Guck mal, ist doch leicht“, ruft er – und biegt seinen Körper so, dass ihn seine kleine Schwester Nina (4) problemlos als Unterführung nutzen kann. Die Mutter der beiden, Olivia Scelta, hat die Brücke nach eigenem Bekunden als Kind ebenfalls gemacht. „Aber jetzt kann ich sie nicht mehr“, räumt die 38-Jährige ein – und macht auch nicht den Eindruck, als sei sie besonders scharf darauf, es noch mal zu versuchen.

Die Baumbergerin ist mit ihren beiden Kindern beim Eltern-Kind-Turnen des BTSC. In der schicken, neuen, hell erleuchteten Turnhalle (Baujahr 2018) an der Europaallee zwischen Neubaugebiet und Kleingärtnersiedlung tummeln sich an diesem trüben Dezembernachmittag gut ein dutzend Mütter sowie ein Vater mit ihren Kindern im Kleinkind- und Vorschulalter, dazu Geschwisterkinder, ob noch im Bauch oder schon in der Schule wie Mateo. Sportwartin Vogtmann hilft hier gelegentlich aus, eigentliche Gruppenstundenleiterin ist Margot Thies. „Das Thema lautet heute ,Brücken‘“, sagt die 55-Jährige und meint damit vor allem die aufgebaute Gerätelandschaft.

Zwei Sprungbretter bilden mit einem kleinen Kastenelement eine Brücke zum Krabbeln für die Jüngsten; die etwas Älteren rutschen auf Bänken, die an der Reckstange zur schiefen Ebene geworden sind; am Hallenende gegenüber wird auf umgedrehten Bänken balanciert, die auf großen Kästen, den Brückenpfeilern, ruhen. Auch Brücken als reine Körperübung sind Teil der Stunde, aber ohne die strengen Vorgaben von anno dazumal. So macht ein kleines Mädchen die Bauch-nach-unten-Brücke, unter die sich der Papa bäuchlings hindurchzuschieben versucht, jedoch wie ein zu dicker LKW steckenbleibt. Andere vollführen rücklings die Schulterbrücke mit hochgedrücktem Po. „Jetzt kommt eine Maus, die baut sich ein Haus“, heißt es in dem dazu passenden Bewegungslied, „jetzt kommt eine Mücke, die baut sich eine Brücke …“

„Es ist alles freier als bei der Gymnastik, wie man sie von früher kennt“, sagt Margot Thies. Und ihre Kollegin Vogtmann nennt ein paar zeitgemäße Basics des Eltern-Kind-Turnens: „Kräftigung der Muskulatur als Grundvoraussetzung für spätere Sportarten, Selbstvertrauen für bestimmte Bewegungsabläufe schaffen und besonders: Freude an Bewegung wecken!“

Was für die Kinder gilt, trifft abgewandelt auch auf die Erwachsenen zu: Die klassische Gymnastik als eine „neuzeitliche Form der Leibeserziehung“, wie sie noch im Brockhaus von 1969 definiert wird (inklusive Schwarz-Weiß-Foto von einer Brücke!), hat ausgedient. An ihre Stelle sind weniger reglementierte Übungsprogramme getreten. Beim BTSC wird das schon in der Angebotsübersicht augenfällig: Zwar heißt der Bereich noch Gymnastik, doch unter den zehn aufgeführten Angeboten, tragen nur noch drei die Gymnastik im Namen (Fitness- und Wirbelsäulengymnastik sowie Gymnastik für Senioren), die anderen nennen sich zum Beispiel „BOP“, „Fit & Fun 50+“, „Fatburner/Bodystyling“ oder „Rückenfit“.

„Manche Klassiker aus der Gymnastik sind auch da noch dabei, andere sind weggefallen oder tauchen abgewandelt wieder auf“, erklärt Marion Vogtmann. So ist das „Klappmesser“ (rücklings Arme/Oberkörper und Beine/Unterkörper zusammenführen) wegen der Qual für die Bandscheiben nicht mehr angesagt. Das „Holzhacken“ wiederum (stehend die hochgestreckten Arme mit Schmackes durch die gespreizten Beine schwingen) gibt es, etwas verändert, auch beim „Faszientraining“. Auch das ein Begriff, der den etwas angestaubten der „Gymnastik“ abgelöst hat. Die Faszien sind das Bindegewebe, das es durch Dehnen und Strecken zu stärken gilt.

Was geblieben ist aus der Zeit, da „WomenSport International“ noch „Internationaler Verband für Leibeserziehung und Sport der Mädchen und Frauen“ hieß: Gymnastik ist überwiegend weiblich. „Unsere Senioren- und die Wirbelsäulengymnastik haben aber auch bei Männern enormen Zuspruch“, sagt Marion Vogtmann. Ebenso das verwandte Angebot „Fit & Ski“: „Das ist eine Art Zirkeltraining. Da kann man sich richtig auspowern – genau das, was viele Männer wünschen.“ Und auch am Eltern-Kind-Turnen nähmen immer mehr Väter teil. „Das Verhältnis hier täuscht. In der Stunde ab 17 Uhr sind mehr Väter am Start“, versichert Margot Thies.

Überhaupt nicht hinterm Ofen – oder Smartphone – hervorlocken lassen sich Jugendliche mit „Gymnastik“. „Die gewinnt man leichter mit Parcours, also Hindernissport, oder Slackline, Balancieren“, weiß Vogtmann. Oder mit Bootcamps (Zirkeltraining in-/outdoor), Pumpen (Muckibude) oder Bouldern (Klettern). So lebt die alte Dame Gymnastik fort, wenn auch überwiegend in ihren Einzelbestandteilen und unter hipperen Namen.

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