Lokale Kultur Kantorin lehrt das Singen mit Gefühl

Monheim · Seit mehr als 25 Jahren gestaltet Musikschuldozentin Gisela Schmelz die Monheimer Chorlandschaft.

 Gisela Schmelz probt mittwochs morgens mit dem Seniorenchor, der jetzt „Canto vitale“ heißt.

Gisela Schmelz probt mittwochs morgens mit dem Seniorenchor, der jetzt „Canto vitale“ heißt.

Foto: Matzerath, Ralph (rm-)

„Od tir’eh, od tir’eh, kama tov yihiyeh, Bashana bashana haba’ah.“ Bevor die Sänger das hebräische Neujahrslied anstimmen, wird der Text aufgesagt. Aufgepasst: das „ch“ wird tief in der Kehle gesprochen. Um den Körper aufzurichten und das Zwerchfell zur Atmung zu befreien, sollen sich die schon etwas betagteren Sänger vorn auf die Stuhlkante setzen, so als würden sie gleich aufspringen. Der erste Durchgang des wehmutsvoll klingenden Liedes stellt die Chorleiterin noch nicht ganz zufrieden: „Das war schon richtig schwungvoll“, sagt die 59-Jährige, aber um die Sehnsucht auszudrücken, das das nächste Jahr gut wird, müsse man sich das intensiv vorstellen, dann nehme die Stimme automatisch diese Färbung an. Gisela Schmelz arbeitet viel mit Bildern, wenn sie ihrem Chor noch mehr Gefühl entlocken will: „Beim Gloria, da sind wir plötzlich alle Engel, das gilt besonders für die erste Stimme, den Sopran“, sagt sie zum Beispiel.

Der Seniorenchor mit seinen 67 Mitgliedern im Alter von knapp 60 bis über 90 Jahren ist ihr jüngstes Projekt. Der „Canto Vitale“, wie er sich seit kurzem nennt, spricht diejenige Altersklasse an, der sich Schmelz abseits ihrer eigentlichen Arbeit als Kirchenmusikerin der evangelischen Kirchengemeinde und Musikschuldozentin besonders gerne widmet. „Die älteren Menschen singen einfach gerne.“ Und in den herkömmlichen Chören seien sie selten vertreten, weil das zuweilen lange Stehen zu anstrengend ist. „Außerdem nimmt der Stimmumfang im Alter ab, so dass die großen Höhen oder Tiefen, die die übliche Chorliteratur verlangt, nicht mehr erreicht werde können.“ Für ihre auf Senioren eingestimmten Projekte schreibe sie daher auch mal Noten um, damit es passt. „Alles andere kann man durch Üben erlernen.“

So stehen am Anfang der Probe stets Lockerungsübungen sowie Übungen zur Atemtechnik und Stimmbildung. Sie gibt beispielsweise eine Tonfolge vor, die die Chormitglieder auf einen bestimmten Buchstaben nachsingen sollen. Oder sie sollen einer Tonfolge auf „Ja,ja,ja“ eine „freundliche Helligkeit“ einflößen. Prompt huscht ein Lächeln über die Gesichter. „Singen hebt einfach die Stimmung“, findet Schmelz. „Alle Alltagssorgen sind wie weggeblasen, wenn der Klang der eigenen Stimme den Körper erfüllt.“

Die Aufgabe, singfreudige Menschen zu einem vielstimmigen Chor zusammenzuführen, erfüllt sie immer noch mit Begeisterung. Mit der Singwoche führt sie jedes Jahr aufs Neue seit nunmehr 27 Jahren den Beweis, dass dies auch in einer Woche gelingen kann. Je nach dem von ihr gewählten Thema, ob Shakespeare, Luther oder Leonard Bernstein, finden sich 15 bis 30 Teilnehmer, die teilweise aus den anderen Chören kommen. Immer wieder stoßen auch neugierige Neulinge dazu.

Obwohl die Kirchenmusikerin bei ihrem Studium an der Musikhochschule Düsseldorf den instrumentalen Schwerpunkt auf Kirchenorgel legte und an der Musikschule unter anderem Klavier unterrichtet, liebt sie die Blockflöte, ein vielfach unterschätztes Instrument. „Ja, sie ist scheinbar einfach, kann aber auch sehr virtuos sein“, erklärt sie. Da es sie aber in verschiedenen Tonlagen und -umfängen gebe, könne man damit in der Gruppe alle Werke vom Mittelalter über die Renaissance bis zur Neuzeit darstellen. „Was der Sopranflöte fehlt, kann man mit der Bass- oder Tenorflöte ergänzen“, sagt Schmelz.

Genau wie bei den Chören fasziniert sie die Aufgabe, in der Gruppe eine harmonische Mehrstimmigkeit zu entwickeln. Seit 25 Jahren besteht bereits das Ensemble „Flautissimo“, vor zehn Jahren rief sie mit „Rondo Allegro“ ein Flötenensemble für Senioren ins Leben. Und so wie die Blockflöte traditionell als Einstiegsinstrument in der Musikpädagogik genutzt wird, eröffne sie älteren Erwachsenen, die entweder mal in der Kindheit gespielt oder noch nie eine Instrument erlernt haben, einen einfachen Zugang und schnelle Erfolgserlebnisse.

Weil sie durch das Vorsingen in den Chören ihre Stimmbänder schon genügend zum Schwingen bringe, ist das musikalische Privatleben eher vom Klavierspiel ausgefüllt, erzählt Schmelz. Dass ihr Ehemann Matthias Standfest ebenfalls Kirchenmusiker ist, empfindet sie als Bereicherung und wichtigen Baustein der familiären Harmonie. „So können wir uns gegenseitig unterstützen und beraten.“ Und da beide ungewöhnliche Arbeitszeiten haben, nämlich dann Projektarbeit machen, wenn andere Freizeit haben, bliebe genügend Zeit für gemeinsame Stunden. „Andernfalls würden wir uns gar nicht sehen.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort