Monheim Als in Monheim die Arbeiterklasse entstand

In den 20er Jahren lösten zuwandernde Fabrikarbeiter eine Wohnungsnot in der Stadt am Rhein aus.

Wie sah die Bevölkerungsstruktur in Monheim nach Ende des Ersten Weltkrieges aus?

Hennen: Von 1900 bis 1939 stieg die Bevölkerungsdichte um fast 60 Prozent. Dabei ist auffällig, dass der Anstieg in der Gemeinde Baumberg nur rund 46 Prozent betrug, in der Gemeinde Monheim aber verdoppelte sich die Einwohnerzahl nahezu. Vor allem für Monheim vollzog sich also im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts eine Veränderung der Gemeindestruktur, die schon ähnlich bemerkenswert war wie das schnelle Wachstum seit dem Ende der 1960er Jahre.

Wie ist dieser starke Zuwachs zu erklären?

Hennen: Die wichtigsten Gründe für den Zuwachs sind die Fortschritte in Medizin und Hygiene, die die Kindersterblichkeit erheblich verringerten, sowie der Zuzug aus anderen Gemeinden. Die Mineralölwerke Rhenania-Ossag waren zwar schon vor dem Ersten Weltkrieg nahezu fertiggestellt, aber erst nach dem Krieg stieg die Produktion so erheblich an, dass viele neue In-dustriearbeitsplätze entstanden. Als vierter Stand prägte sich die Arbeiterschaft heraus. Dies Entwicklung spielte sich in Monheim vor allem in den eher mittelständischen Betrieben wie der Kettenfabrik, den Hefe- und Spritwerken, den Ziegeleien ab. Zu diesem Aufschwung trug erheblich die Verbesserung der Infrastruktur bei, etwa mit dem Bau der Kleinbahn und der Elektrifizierung. Der Ausbau des Hitdorfer Hafens war eine wesentliche Voraussetzung für die Ansiedlung der Rheinischen Pappenfabrik im Ortsteil Blee im Jahr 1925.  Hinter diesen Entwicklungen blieb Baumberg wesentlich zurück. Lediglich mit der Ansiedlung einer Zweigstelle der Hildener Weberei Kampf & Spindler an der Berghausener Straße entstand hier ein kleiner Industriezweig.

Gab es damals schon Arbeitspendler?

Hennen: Laut einer Statistik vom 23. Juli 1928 pendelten 646 Arbeiter aus Richrath-Reusrath (heute Langenfeld), Düsseldorf, Hitdorf, Rheindorf, Opladen, Wiesdorf, Benrath und Baumberg nach Monheim ein, während nur 221 auspendelten. In Monheim waren insgesamt 1552 Arbeiter beschäftigt, in Baumberg 175.

War nicht die Landwirtschaft noch der bedeutendste Wirtschaftszweig?

Hennen: In der Beschäftigung spielte die Landwirtschaft nicht nur in Baumberg, sondern auch in Monheim eine immer noch wichtige Rolle. Durch die Abwanderung vieler Landarbeiter zu den sicheren und besser bezahlten Arbeitsplätzen in der Industrie entstand für die immer noch über 100 kleinen und großen Landwirtschaftsbetriebe ein erheblicher Arbeitskräftemangel. Ein Aus-gleich erfolgte durch den Zuzug von über 400 ausländischen Arbeitskräften. Darunter waren über 250 Niederländer und je über 40 Polen und Schweizer.

Wie hat sich die Infrastruktur in den 20er Jahren verändert?

Hennen: Zieht man noch den Deichbau von 1924 bis 1929 hinzu, so kann resümiert werden, dass gegenüber den Zeiten des Kaiserreichs die Infrastruktur erheblich verbessert und ausgebaut wurde, dass die Arbeiterschaft auch in Monheim zu einer bedeutenden Schicht in der Sozialstruktur geworden war, dass mit dem Bau der modernen Volksschule zu Beginn der 1930er-Jahre das Bildungssystem erheblich verbessert wurde. Vor allem der starke Zuzug führte in Monheim zu einer Verstärkung der bereits in der Kaiserzeit entstandenen Wohnungsnot. Der Amtsrat und die Gemeinderäte versuchten nach Kräften gegenzusteuern und gründeten bereits 1919 eine Wohnungsbaugenossenschaft, die mit Mietwohnungsbauten und Siedlerhäusern die größte Not zu lindern suchten.

Gab es infolge der Industrialisierung eine örtliche Arbeiterbewegung, also Ortsvereine von SPD oder gar der KPD?

Hennen: Die SPD war kontinuierlich im Gemeinderat Monheim sowie im Bürgermeistereirat, später Amtsrat, das übergeordnete Gremium für Monheim und Baumberg, vertreten, kam aber nie über ein bis zwei von insgesamt zwölf Mandaten hinaus. In Monheim selbst gab es seit 1919 auch einen gut organisierten Ortsverein, in Baumberg und Hitdorf dagegen nicht. Conrad Thelen vertrat die SPD in beiden Gremien bis zur Auflösung der kleinen Fraktion im Frühjahr 1933.

Die auf kommunaler Ebene ungleich stärkere Partei war zunächst die USPD, die linke Abspaltung der SPD. Bei den ersten Kreistagswahlen (Jahreswechsel 1919/20) wurde sie sogar mit 19 von 45 Mandaten stärkste Partei. Die KPD war in Baumberg mit einem eigenen Ortsvereinsvorstand unter dem Vorsitzenden Wilhelm Dederichs noch am besten organisiert und überörtlich vernetzt. Man kandidierte indes nicht unter dem Parteinamen, sondern unter einer „Arbeiterliste“. Auf der unteren kommunalen Ebene waren solche Wählerlisten noch erlaubt; nur mit diesem Mittel war es für kleine Parteien möglich, eine vollständige Kandidatenliste zusammenzustellen. Die von der KPD dominierte „Arbeiterliste“ in Baumberg erlangte in den Wahlen von 1924 und 1929 drei bzw. vier Mandate. Gerade in Monheim, der Gemeinde mit der mittlerweile stärksten Industrialisierung, blieb die KPD jedoch am unbedeutendsten. Erst 1929 erzielte der Walzer Wilhelm Nießen ein Mandat für den Gemeinderat. Diese Entwicklung hing eng damit zusammen, dass es der Arbeiterschaft nie gelang, sich effektiv gewerkschaftlich zu organisieren. So hatte der mit Abstand größte Betrieb, die Mineralölwerke Rhenania-Ossag, während der ganzen Weimarer Jahre keinen Betriebsrat.

Vermutlich war in dieser katholisch geprägten Region das Zentrum die stärkste Partei...

Hennen: Ja, in allen drei Rheingemeinden dominierte von Anfang an das Zentrum. Wie in der reichsweiten Tendenz gab es auch auf lokaler Ebene zwei ausgeprägte Flügel, die starke katholisch orientierte Arbeiterschaft und den kleinen, aber einflussreichen Wirtschaftsflügel. Um das gesamte Wählerpotential auszuschöpfen, kandidierte man unter zwei Listen, die „Liste der christlichen Lohn- und Gehaltsempfänger“ und der „Bürgerliste“. Es kam sogar vor, dass diese Listen sich untereinander heftiger bekämpften als die anderen politischen Gegner.

Wie gestaltete sich eigentlich die kommunale Selbstverwaltung in der Weimarer Zeit?

Hennen: Bei der politischen Vertretung nach dem Systemwechsel vom Kaiserreich zur Republik und vom Zensuswahlrecht in drei Steuerklassen zum allgemeinen und gleichen Wahlrecht wurden die Vertreter im Bürgermeistereirat und in den Gemeinderäten ausgetauscht. Es waren alle beruflichen und sozialen Schichten vertreten, die Dominanz der Besitzenden nach dem alten Wahlrecht gehörte der Vergangenheit an. Bereits 1920 trat eine umfassende Finanzreform in Kraft, die  alte Privilegien, wie für den Adel, abschaffte, und nach festem Schlüssel die Gelder dem Reich, den Ländern und den Kommunen zur Verfügung stellte. Der entscheidende Faktor für die Finanzkraft einer Kommune ergab sich aus dem prozentualen Anteil am insgesamt erzielten Steuervolumen. Das bedeutete für die Bürgermeisterei Monheim, dass ihr mit Monheim selbst eine Gemeinde mit hohem und mit Baumberg eine andere Gemeinde mit niedrigem Steueraufkommen angehörte. Im Bürgermeistereirat, dem acht Verordnete aus Monheim und vier aus Baumberg angehörten, konnten Finanzausgleiche beschlossen werden. Das erfolgte auch immer in allen Belangen der unmittelbaren Förderung von Bedürftigen in der Bevölkerung, da die staatlich vorgeschriebene Wohlfahrtsversorgung für viele Familien nicht ausreichte. Andererseits aber war Monheim dem armen Baumberg im Ausbau der Infrastruktur stets deutlich voraus.

 Zu den Überraschungen bei Durchsicht der Quellen gehört, dass ein klassischer, eher konservativer Bürgermeister wie Krischer offenbar von Anfang an keine Schwierigkeiten hatte, mit allen, so unterschiedlichen Fraktionen in den Räten auszukommen. Es ist nahezu verblüffend, feststellen zu können, dass nahezu sämtliche Abstimmungen in den Räten einstimmig ausfielen, obwohl die Fraktionen sich in den Wahlkämpfen sehr heftig und bis hin zu persönlichen Beleidigungen bekämpft hatten.

Hatte die Stadt finanzielle Möglichkeiten, in Not geratenen Familien zu helfen?

Hennen: Wenn es um das Wohl der – etwa in den Inflationsjahren – in Not geratenen Familien ging, zogen alle an einem Strang. Auch die eher konservativen Ratsmitglieder erklärten sich einverstanden, wenn Sozialdemokraten in Monheim oder Kommunisten in Baumberg Anträge stellten. Selbst in Krisenzeiten gab es überwiegend eine gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen der Verwaltung, der politischen Vertretung in den Räten und der Bevölkerung. Erstaunlich schnell hatte man sich auf die neue Regierungsform eingestellt. Mit der rasant verlaufenden Inflation ging man sehr pragmatisch um. Um dem Verfall der Kaufwert so gut wie möglich entgegenzuwirken, wurden von kommunalen Geldern stets sehr zeitig, um den Kaufkraftverlust zu mindern, große Vorräte an Kartoffeln, Speck, Brennmaterialien etc. angelegt, um sie dann so gerecht wie möglich zu verteilen. Auch mit Stundungen und selbst Niederschlagungen von Zinszahlungen nach dem Erwerb von Siedlerhäusern oder bei rückständigen Stromkosten zeigte man sich großzügig.

Gibt es Berichte über den Einzug der Moderne in Monheim, wie das Telefon, das Automobil, Radio, Elektrifizierung?

Hennen: Die modernen Errungenschaften waren in Landgemeinden wesentlich länger als in den Städten ein Privileg weniger Familien. In Monheim wurde am 1. Dezember 1906 ein Fernsprechvermittlungsamt eingerichtet. Anschlüsse gab es jedoch jahrzehntelang nur in größeren Betrieben und wenigen Privathaushalten. So hatte selbst die Verwaltung nur einen Anschluss.

Noch weniger verbreitet waren Automobile. Es war eine Sensation, als am 12. Oktober 1922 Innenminister Severing mit dem Auto von Düsseldorf über Benrath, Urdenbach und Baumberg zum Monheimer Rathaus fuhr, um dort eine Anhörung zu den aggressiv vorgetragenen Düsseldorfer Eingemeindungsforderungen der Bürgermeisterei durchzuführen. Den ersten Dienstwagen der Verwaltung beschaffte erst NS-Bürgermeister Grütering. Bürgermeister Krischer hatte noch ein Dienstfahrrad.

Auch die damals teuren Radiogeräte fanden selten den Weg in kleine Landgemeinden. Es war nicht selten, dass sich ganze Gruppen von Menschen in Gaststätten oder sogar in Betrieben versammelten, um beliebte oder als wichtig betrachtete Radiosendungen zu hören. Ab 1927 fanden Kinovorführungen im Saal der Gaststätte Menrath am Marktstieg statt, wenigstens ein kleiner Abglanz der in den Großstädten und vor allem in Berlin so turbulenten Unterhaltungsindustrie der späten 1920er Jahre.

Die Weltwirtschaftskrise 1929 wird sicherlich auch in Monheim Spuren hinterlassen haben...

Karl-Heinz-Hennen schreibt gerade an seinem dritten Band seiner Stadtgeschichte, in der es um die Weimarer Jahre geht.

Karl-Heinz-Hennen schreibt gerade an seinem dritten Band seiner Stadtgeschichte, in der es um die Weimarer Jahre geht.

Foto: Matzerath, Ralph (rm-)

Hennen: Die Weltwirtschaftskrise betraf selbstverständlich auch kleine Gemeinden. Die Auswirkungen in der Landwirtschaft waren nur gering; in Gewerbe und Industrie waren jedoch viele Arbeitnehmer von Entlassungen und Kurzarbeit betroffen. Die prominenteste Firma, die in der Krise zur Geschäftsausgabe gezwungen war, war die Ziegelei Odenthal. Das hatte vielerlei Auswirkungen. Die Beschäftigten wurden arbeitslos, und der Güterverkehr der Kleinbahn erlitt erhebliche Einbußen, verlor den besten Kunden. Allerdings nutzte die Wohnungsbaugenossenschaft diese Gelegenheit, um verbliebene Gebäude an der Parkstraße zu Mietwohnungen umzubauen und Gelände für weitere Baumaßnahmen anzukaufen.
In Monheim und Baumberg waren 20 bis 25 Prozent der Haushalte auf öffentliche Unterstützung angewiesen. All dies diente nur der Linderung der bittersten Not; wenigstens in Ansätzen halfen zusätzlich neben den Gemeinden die Kirchen sowie einige Landwirte und Firmen mit Kleidersammlungen, Kinderspeisungen und Spenden von Nahrungsmitteln und Brennmaterial.

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